Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

20.6.4. Ausgleichungspflicht, Pflichtteil und Pflichtteilsergänzung

913

XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 14.

914

Nach dem Wortlaut des Gesetzes hat der Gerichts-
schreiber zweiter Instanz zu bezeugen, daß innerhalb
•der Notfrist eine Beschwerde nicht eingereicht ist. Er
muß also, um den Beginn der Frist prüfen zu können,
von der Partei den Nachweis der ordnungsmäßigen Zu-
stellung des Beschlusses erfordern. Diesen Nachweis zu
-erbringen ist die Partei aber nicht in der Lage, wenn die
Zustellung von Amts wegen erfolgt ist. Sollte sie etwa
hierzu wieder erst den Gerichtsschreiber erster Instanz um
eine Bescheinigung angehen, deren Erteilung, wenn auch
nicht gerade verboten, so doch gesetzlich nicht vorgesehen
ist, und die nicht einmal den Nachweis ordnungsmäßiger
Xustellung enthalten könnte, weil möglicherweise der Be-
schluß verkündet ist und deshalb im Parteibetriebe hätte
zugestellt werden müssen? Oder soll1) der Gerichts-
schreiber zweiter Instanz die Akten einfordern, um sich
den erforderlichen Nachweis zu verschaffen? Auch das ist
zu verneinen. Denn nur in den Fällen der §§ 544, 566
ZPO. ist der Gerichtsschreiber zweiter Instanz zur Akten-
einforderung berechtigt und verpflichtet.
Hat aber die Partei selbst zugestellt, so kann der
.Zustellungsnachweis zum Nachweise des Fristenlaufes dem
Gerichtsschreiber zweiter Instanz nicht genügen, weil
möglicherweise der Beschluß nicht verkündet ist und da-
her hätte von Amts wegen zugestellt werden müssen. In
den Fällen der sofortigen Beschwerde kann also der
Gerichtsschreiber zweiter Instanz den Beginn der Notfrist
niemals selbst prüfen und daher der Partei nicht be-
scheinigen, daß innerhalb der Notfrist eine Beschwerde
nicht eingegangen ist. Dagegen kann er ein solches, dem
Wortlaut des § 706 entsprechendes Attest dem Gerichts-
schreiber der ersten Instanz erteilen. Denn diesem, als
dem Aussteller des Rechtskraftattestes, liegt die Prüfung
der ordnungsmäßigen Zustellung ob. Er hat festzustellen,
ob der Beschluß von Amts wegen oder im Parteibetriebe
.zuzustellen war. Im ersteren Falle stellt er aus den Akten,
im letzteren Falle aus dem ihm von der Partei zu er-
bringenden Zustellungsnachweise den Zeitpunkt der Zu-
stellung fest. Mit dem Ersuchen um Erteilung des Not-
fristattestes teilt er dem Gerichtsschreiber zweiter Instanz
den Zeitpunkt der Zustellung mit, welcher nunmehr ohne
•eigene Prüfung des Fristenlaufes das Notfristattest zu
erteilen in der Lage ist.
Daß der Gerichtsschreiber zweiter Instanz der Partei
das formale Notfristattest nicht erteilen kann, ergibt sich
auch aus folgendem:
a) Wie schon ausgeführt, wäre zur Ausstellung eines
solchen die Prüfung und Entscheidung über die ordnungs-
mäßige Beschlußzustellung erforderlich. Dieselbe Prüfung
liegt aber dem das endgültige Rechtskraftattest erteilenden
Gerichtsschreiber erster Instanz ob. Es würden dann zwei
gleichgeordnete Instanzen über dieselbe Angelegenheit nach-
einander Entscheidungen zu treffen haben. Denn wenn
auch bislang in der Praxis der Gerichtsschreiber erster
lustanz den Notfristenlauf und dessen Voraussetzung, die
•ordnungsmäßige Zustellung des Beschlusses, nicht mehr zu
prüfen sich für verpflichtet halten mag, wenn ihm ein Not-
fristattest beigebracht wird, so wird dadurch jedenfalls das
Recht des Gerichtsschreibers erster Instanz zur Nach-
prüfung nicht betroffen.
b) Man hat auch allgemein die Angehung des Prozeß-
gerichts gemäß § 576 ZPO. gegen die Weigerung des
Gerichtsschreibers zweiter Instanz, das formale Notfrist-
attest zu erteilen, für zulässig erachtet. So konnte es
kommen, daß das Obergericht seinen Gerichtsschreiber
anwies, das Notfristattest zu erteilen, weil es die von ihm
beanstandete Zustellung für ordnungsmäßig hielt, daß aber
i) Was KG., Bl. f. R, 1910 S. 25, bejaht.

hinterher der das Rechtskraftattest erteilende Gerichts-
schreiber erster Instanz in eine Prüfung der bereits vom
Obergericht entschiedenen Frage eintreten durfte.
Der Gerichtsschreiber zweiter Instanz kann also der
Partei das formale, eine Entscheidung voraussetzende Not-
fristattest im Beschwerdeverfahren nicht erteilen, der
Gerichtsschreiber erster Instanz muß sich vielmehr das
Notfristattest selbst beschaffen.
Es fragt sich nun, ob der Gerichtsschreiber zweiter
Instanz der Partei an Stelle des formalen Notfristattestes
ein reines Tatsachenzeugnis zu erteilen berechtigt und
verpflichtet ist, etwa dahin, daß bis heute eine Rechts-
mittelschrift nicht eingegangen ist.
Gesetzlich verboten ist die Ausstellung eines solchen
Zeugnisses nicht. Seine Erteilung setzt keinerlei Prüfung
und Entscheidung voraus. Es ist lediglich nobile officium
des Gerichtsschreibers zweiter Instanz, der Partei ein der-
artiges Attest zu erteilen, gerade wie eine sonstige Aus-
kunft. Gegen die Ablehnung findet daher nicht die Ent-
scheidung des Gerichts, nicht die Beschwerde (§ 576 ZPO.)
statt, sondern die Beschreitung des Dienstaufsichtsweges.
Das Ergebnis ist also folgendes:
1. Das formale Notfristattest kann der Gerichtsschreiber
zweiter Instanz der Partei nicht erteilen.
Gegen die Weigerung der Erteilung ist, da dieselbe
aus Rechtsgründen erfolgt, der sachliche Beschwerdeweg
des § 576 zulässig, aber erfolglos.
2. Die Erteilung des vorbezeichneten Tatsachenzeug-
nisses ist nobile officium des Gerichtsschreibers zweiter
Instanz. Diese Bescheinigung wird meist den Zwecken
der Partei genügen. Gegen die Weigerung ist nur die
Beschwerde im Dienstaufsichtswege gegeben.
3. Verweigert der Gerichtsschreiber erster Instanz die
Erteilung des Rechtskraftattestes, weil ihm die Partei das
Notfristattest nicht beibringt, so ist fraglich, ob das Gericht
gemäß § 576 ZPO. dem Gerichtsschreiber erster Instanz
eine Anweisung erteilen darf, von dem vorbezeichneten
Erfordernis abzusehen, oder ob diese Anweisung nur im
Dienstaufsichtswege geschehen kann. Man wird, wenn die
Weigerung aus den vorbezeichneten Rechtsgründen erfolgt,
den Weg der sachlichen Beschwerde zulassen.
Landrichter Dr. Lubowski, Charlottenburg.

Ausgleichungspflicht, Pflichtteil und Pflicht»
teilsergänzung* lieber das Verhältnis dieser Normen
hat sich das Reichsgericht, Bd. 77 S. 282 ff., in einer Weise
ausgesprochen, die m. E. nur zum Teil richtig ist. Der
Fall lag folgendermaßen:
Der Erblasser, dessen gesetzliche Erben sein Sohn A
und seines verstorbenen Sohnes B Sohn C zu gleichen
Teilen geworden sein würden, hat A zum alleinigen Erben
eingesetzt. Der Nachlaß deckt nur die Beerdigungskosten.
A hat vom Erblasser zu dessen Lebzeiten eine Ausstattung
von 24 000 M. und in den letzten 10 Jahren vor dessen
Tode ein Geschenk von 9000 M. erhalten. Die Ausstattung
hat bei ihrer Hingabe nicht das den Umständen ent-
sprechende Maß überstiegen und gilt daher nach § 1624
BGB. nicht als Schenkung. C begehrt klagend mit der
Revision als Pflichtteil bzw. Pflichtteilsergänzung die Hälfte
seines Erbteils, den er auf 1Jz von 24 000 M. -f- 9000 M.
berechnet, also x/4 von 33 000 M.
Demgegenüber betont das RG. mit Recht, daß nach
§ 2316 Abs. 1 BGB. der gesetzliche Erbteil beim Vorhanden-
sein mehrerer Abkömmlinge unter Berücksichtigung der
Ausgleichungspflicht zu berechnen sei, und daß damit auch
§ 2056 BGB. heranzuziehen sei, wonach ein Miterbe, der
durch die ausgleichungspflichtige Zuwendung mehr erhalten

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer