Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

20.4.2. Personalien

20.5. Neue Gesetze, Verordnungen und dergl. des Reichs und der Einzelstaaten

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 14.

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meine Annahme durchaus bestätigt, daß die entscheidende
Wendung für den gesamten Gang unserer Jurisprudenz,
die Abkehr von der Konstruktion und die Unterstellung
unter den Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit, von Jhering
schon zu Beginn der sechziger Jahre durchlebt, durchdacht
und vorbereitet worden ist, womit sich zugleich die Ent-
fernung von Gerber vollzogen hat, genau wie ich dies
(Gesch. d. D. RW. 3, 2, 778 ff.) dargestellt habe. Wegen
der einschneidenden Wichtigkeit dieser Vorgänge, und da
man darüber gewiß gern in weiteren Juristen-Kreisen
Jhering persönlich hören wird, sei hier die bezeichnendste
der darüber handelnden Stellen aus einem Brief an Wind-
scheid v. 18. April 1865, zum Abdruck gebracht:
„Ich habe“, heißt es da, „in den letzten 2—3 Jahren
eine merkwürdige Umwandlung meiner ganzen Anschauung
durchlebt, die Dich noch oft frappieren und — freuen
wird, denn sie besteht in einem Uebergang zu dem Stand-
punkt, den Du seit Jahren einnimmst1), und den ich früher
so scharf bekämpft habe. Deine Richtung war von Anfang
an eine ungleich gesundere als die meinige, davon habe
ich mich vollkommen überzeugt. Aber auch Du hast
gefehlt. Während ich den Begriff und die Konstruktion
über alles setzte, hast Du umgekehrt die Berechtigung
dieses formal-juristischen Elements zu gering angeschlagen.
Der endliche Weg zur Wahrheit führt nicht um die Technik
herum, sondern durch sie hindurch. Du hattest voll-
kommen recht, wenn Du die Tatsachen des Rechtslebens,
z. B. die Fortdauer des Vermögens nach dem Tode, als
verbindlich für die Jurisprudenz aufstelltest; gegenüber
dem, was das Leben verlangt, kann keine angebliche Logik
des Rechts auf kommen, und für den Verkehr ist es voll-
kommen gleichgültig, ob der Jurist die Anforderungen des-
selben konstruieren kann oder nicht. Das wird allerdings
nur zu oft übersehen und ist es auch von mir. Aber die
Vertreter einer solchen Verkehrtheit kann man nur dadurch
gründlich bekämpfen und zum Schweigen bringen, indem
man nicht, wie Du es tatest, im einzelnen Fall das Ver-
kehrte ihrer Bemühungen ihnen vorhält, sondern indem
man prinzipiell die Berechtigung und Tragweite des formal-
juristischen Gesichtspunktes untersucht und ihnen den Nach-
weis liefert, daß derselbe sich wie eine elastische Form
jedem Inhalte anbequemt. Der Schein der absoluten
Wahrheit der juristischen Begriffe muß vernichtet werden,
sie selbst als das aufgedeckt werden, was sie sind: als
bloße Formen eines gegebenen Inhalts, der unter anderen
Umständen auch anders sein könnte. Dazu glaube ich
jetzt den ersten Schritt getan zu haben; die folgenden
werden im nächsten Bande und vielleicht in einer besonderen
Schrift von mir geschehen“ . . . „Die Umwandlung“,
heißt es dann später, „die mich Dir wissenschaftlich so
nahe gebracht, hat mich von Gerber gänzlich entfernt.“
In diesen Zusammenhang mag es darum auch gehören,
wenn die besondere Wertschätzung für Oscar Bülow aus
Briefen Jherings an und über ihn erhellt; damit ist der
Uebergang zur jüngsten Gegenwart, die Bülow als Geistes-
verwandten anerkennt, Jhering aber verleugnen möchte,
unübersehbar dargetan. Sie wird aber auch lernen müssen,
das Wort zu beherzigen, daß der Weg zur Wahrheit nicht
um die Technik herum führt, sondern durch die Technik
hindurch; es verdient eben so bekannt zu werden, wie das
ähnlich klingende, im Grunde dasselbe besagende Schlag-
wort Jherings von der Richtigkeit des Pfades durch das
römische Recht hindurch über das römische Recht hinaus.
Die Freiheit als Ergebnis überwundener, weil durchgear-
beiteter Schulstrenge mag herrlich sein, die „Freiheit“, die
*) Darüber, daß Windscheid, der der späteren Generation
nur als starr konstruierender Logiker bekannt ist, ursprünglich als
Neuerer und Praxis-Berücksichtiger aufgetreten ist, vgl. meine Gesch.
d. D. RW. 3, 2, 746 ff. u. 855 ff.; er ist dann immer „konservativer*
geworden, hat sich also gerade umgekehrt wie Jhering entwickelt.
Uebrigens ist offenbar die Darstellung seiner neuen Ideen, die
Jhering a. a. 0. gibt, absichtlich etwas diplomatisch abgetönt und
darauf abgestellt, um Windscheids Zustimmung zu gewinnen.

sich über Schule, Regel und Gesetz hinwegsetzt, ist Rück-
fall in primitive Unkultur und Willkür.
Neben solchen wissenschaftlich bedeutsamen Briefen
wird man gern auch diejenigen lesen, in denen Jherings geist-
reich verbindliche Weise in Aeußerungen gegenüber jungen
oder alten Freundinnen erklingt. Gerade dafür, daß sie
auch derartiges in nicht zu eingeschränktem Maße heran-
gezogen hat, wird man dem feinen weiblichen Sinn der
Herausgeberin Dank wissen dürfen. Dagegen wird man
es wohl wegen dieses Umstandes entschuldigen müssen, daß
nicht für eine etwas vorsichtigere Korrektur der lateinischen
Stellen und Digesten-Zitate gesorgt wurde; freilich, daß
das Buch hier von Lese- oder Druckfehlern vielfach durch-
setzt ist, muß denn doch schon deshalb hervorgehoben werden,
weil dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, daß „pecatum
castrense“ (S. 126) kein beabsichtigter übler Wortwitz im
Original, sondern nur ein unglücklicher Zufall im Abdruck ist.
Beigegeben ist der Briefsammlung in einem besonderen
Anhänge Jherings ohnehin sattsam bekanntes Glückwunsch-
schreiben an Bismarck zum 70. Geburtstage, aber auch
eine Skizze, in der Jherings ältester Sohn, Dr. Hermann
von Jhering, Direktor des Staatsmuseums zu Sao Paulo
in Brasilien, persönliche Erinnerungen an seinen Vater
mit eingehender Schilderung des Lebensganges zu einem
anziehenden Gesamtbilde verwebt hat. — Endlich ist, außer
durch ein allgemeines Namensregister, noch besonders
durch ein „Register der * Briefempfänger“, das zugleich
über deren Personalien kurz und gut orientiert, die Brauch-
barkeit des Buches wesentlich gesteigert.
Professor Dr. Landsberg, Bonn.

Personalien. Der um die Handelsrechtswissenschaft
und das Seerecht hochverdiente Gelehrte Geh. Rat, Prof.
Dr. Pappenheim, Kiel, konnte am 4. Juli auf eine un-
unterbrochene 25 jährige Lehrtätigkeit als Ordinarius an
der Kieler Universität zurückblicken. — Aord. Prof. Dr.
Planitz, Leipzig, folgt einem Rufe als Nachfolger des
zurücktretenden Prof. Dr. Heusler an die Univ. Basel;
aord. Prof. Dr. Last, Czernowitz, ist zum ord. Prof, daselbst
ernannt, dem Priv.-Doz. Dr. Kantorowicz, Freiburg i. Br.,
ist der Titel eines aord. Professors verliehen worden. —
Generalstaatsanwalt b. Oberst. Landesgericht v. Höchtlen,
München, ist in den Ruhestand getreten, zu seinem Nachfolger
Oberstaatsanwalt b. OLG. München, Hi er st etter, ernannt
worden.— Dem Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. Wolf,
Braunschweig, wurde das Prädikat Exzellenz verliehen. —
Verwaltungsgerichtsdirektor Morgenbesser, Liegnitz, ist
zum preuß. Oberverwaltungsgerichtsrat ernannt worden.

Neue Gesetze, Verordnungen u. dgl.
Die in [ J-Klammern in Kursivschrift beigefügten Daten bezeichnen
den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetze usw.
Deutsches Reich: Anweisung f. d. Funkentele-
graphendienst v. 15.6.1913 [1.7.1913] (ZB1. S. 619).
— RkzlrBk. v. 12. 6.1913 ü. d. Beitritt Großbritanniens z.
d. am 23. 9. 1910 unterzeichn, seerechtl. Ueberein-
kommen f. d. Kolonie Neuseeland (RGBl. S. 321). —
RkzlrBk. v. 17. 6. 1913, bt. Strombeiräte [21. 6.1913]
(S. 322). — RkzlrBk. v. 21. 6. 1913, bt. Regel, d. Verkehrs
mit Kraftfahrzeugen (S. 326). — Vo. v. 21.6. 1913 ü.
Geschäftsgang u. Verfahren d. Schiedsgerichte f. An-
gestelltenversicherung [27.6.1913](S. 329).—Vo.v.21.6.1913
ü. Geschäftsgang u. Verfahren d. Oberschiedsgerichts
f. Angestelltenversicherung [27. 6.1913] (S. 341).
Preußen: Allg. Vf. v. 17.6.1913, bt. Vorschriften ü.
d. jurist. Prüfungen u. d. Vorbereitung z. höh. Justiz-
dienste (Prüfungsordnung) [1. 8. 1913] (JMB1. S. 194). —
Ges. v. 28. 5. 1913, bt. Bereitstellung von Staatsmitteln z.
Förderung d. Landeskultur u. d. inneren Koloni-

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