Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

18.2. Juristische Rundschau

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XVIII. Jahrg. D e utsch e J u r i s t e n - Z eitun g. 1913 Nr. 12.

Übung der Aufsicht, eingreift, so hat er für die Lohn*
forderung des Dritten als Bürge und Zahler einzu-
stehen. All diese Vorschriften sind zwingende. Der
Entw. enthält ferner eine Anzahl Bestimmungen,
welche die körperliche Sicherheit des Arbeitnehmers
zu gewährleisten berufen sind und diesem füi den
unverschuldeten Krankheitsfall die Fürsorge des
Arbeitgebers sichern. Eine einschneidende Aenderung
erfährt das Gesellschaftsrecht. Während im
ersten E. die Gesellschaft nach deutschem Muster
-auf Grund des Prinzips der gesamten Hand normiert
war, kehrt der zweite Entw. zur römischrechtlichen
societas zurück, gestattet jedoch, daß Gesellschaften
mit wirtschaftlichen Zielen nach den Normen der
offenen oder der Kommanditgesellschaft gebildet
werden. Die bisherige allgemeine Verjährungs-
frist von 32 Jahren wird auf 20 Jahre herabgesetzt,
IV. Das Erbrecht zeigt gegenüber dem ersten
Texte die meisten und größten Abweichungen, was
■äußerlich darin in die Erscheinung tritt, daß während
der erbrechtliche Teil des ersten Textes bloß
250 Paragraphen enthalten hatte, jener des zweiten
Entw. zur Bewältigung der Materie 465 Paragraphen
brauchte. Die Abweichung kann aber dennoch kurz
zusammengefaßt werden: gegenüber den beabsichtigten
Reformen des ersten Textes fast vollkommene Rück-
kehr zum alten, lebenden Rechte. Neu sind die
Institution der konkursmäßigen Verlassenschafts-
liquidierung außerhalb des Konkurses sowie das
Institut der Gläubiger-Konvokation.

Juristische Rundschau.
Am 16. Juni wird das 25jährige Jubiläum
der Regierung des Kaisers gefeiert. Für die
deutsche Rechtsentwicklung ist sie die Zeit der Voll-
endung und Einführung des BGB. Vor hundert-
fünfzig Jahren wäre das Gesetz mit dem Namen
des Herrschers bezeichnet worden. Heute gedenkt
Deutschland in Dankbarkeit der Mühen seines Kaisers
um den Weltfrieden. Nur dadurch wurde die Arbeit
am neuen Rechte und dessen Anpassung an die
wirtschaftliche Lage des Volkes ermöglicht.
Der Präliminarfrieden zu London ist
unterzeichnet. Der Balkankrieg gegen die Türkei
ist zu Ende. Die letzten Tage und das Eingreifen
Sir Edward Greys haben vielleicht manchen
Juristen an die Tätigkeit eines geübten Vergleichs-
richters erinnert. Der Friedens vertrag selbst enthält
nur den Verzicht der Türkei auf ihren europäischen
Besitz bis auf den kleinen Rest. Die Sorge für das
Schicksal Albaniens und der ägäischen Inseln ist,
wie der Text sich so schön ausdrückt, den euro-
päischen Großmächten „anvertraut“. Die Bestimmung
ist der Entschließung eines Dritten überlassen. Auch
im völkerrechtlichen Verkehr hat sie nach billigem
Ermessen zu erfolgen. Nur gibt es hier keine An-
rufung des Gerichts bei offenbarer Unbilligkeit.
Richter ist hier nur die Geschichte.
Bei der Beratung und Bewilligung der Wehr-
vorlage in der Budgetkommission des Reichs-
tags wurden eine Reihe von Resolutionen gefaßt.
Sie erstreben eine Verbesserung, wenn auch noch
keine völlige Neugestaltung des Beschwerderechts,

der Ehrengerichte, des Militärstrafrechts. Es ist
recht wenig, wenn für dieses vor der Reform des
Strafrechts jetzt schon die Möglichkeit der Straf-
milderung gefordert, wenn eine Verwirklichung der
Öeffentlichkeit des Verfahrens erstrebt wird. Hier
ringen immer noch zwei Kulturepochen miteinander.
Es wird eine Zeit kommen, in der man die Zustän-
digkeit der Militärgerichte für Diebstahl und Be-
leidigung so wenig mehr versteht, wie den längst
der Geschichte angehörenden privilegierten Gerichts-
stand des kanonischen Rechts für den Geistlichen.
Dem Reichstage ist der Entwurf eines Gesetzes
gegen den Verrat militärischer Geheimnisse
zugegangen1). Es soll Lücken des Gesetzes v. 3. Juli
1893 ausfüllen. Der Schutz der militärischen Geheim-
nisse erscheint nicht mehr hinreichend. Bei der Spionage
waren bisher nur Ausführungshandlungen strafbar.
Nun werden es auch Vorbereitungen. Die Strafen
werden verschärft. Das Zuchthaus kommt in stärkerem
Masse zur Anwendung. Auch dieses Gesetz ist eine
Wehr Vorlage. Sein strenges Ge sicht erregt keine Freu de.
Aber es wird als ein Stück der Rüstung hingenommen
werden. Wer wird den Mut der Verantwortung
haben, nein zu sagen?
Das Verbrechen des österreichischen
Obersten Redl und seine Sühne hat auch in
Deutschland starke Erregung ausgelöst. Der Fall
wurde mit etwas romanhaften Einzelheiten ausge-
schmückt. Die Akten ergeben wohl ein nüchterneres
Bild. Ueber die Motive wird kaum ein Zweifel
möglich sein. Die Rüstungen werden gesteigert.
Die Waffen werden vervollkommnet. Damit wächst
das Verlangen der Nachbarstaaten, die Pläne kennen
zu lernen. Trotz aller Strenge der Gesetze unter-
liegen stets wieder Menschen der Versuchung. Davor
schützt auch die Verschärfung der Strafen nicht.
Erst wenn die Moral im Völkerverkehr die Spionage
verabscheut, wird es anders werden.
Der frühere ungarische Unterstaatssekretär
Desy ist von, der Anklage wegen Beleidigung
des Ministerpräsidenten v. Lukacz freigesprochen
worden. Die Regierung hatte große Geldsummen
von der Ungarischen Bank erhalten. Sie hatte sie
zu Wahlzwecken für ihre Partei verwendet. Darin sah
das Gericht die Rechtfertigung des Vorwurfs
„Panamist". Der Vertreter der Anklage hatte die
Meinung ausgesprochen, daß solche Fälle vor das
Forum des Parlaments gehören. Zu Unrecht. Dort
würde das Parteiinteresse entscheiden. Der eigent-
liche Richter ist die öffentliche Meinung. Der Be-
leidigungsprozeß ist nur das Mittel, den Prozeß vor
diese oberste Instanz zu bringen.
Der Deutsche Reichstag hat die Petition auf Er-
höhung des pfandfreien Einkommens beraten.
Die wirtschaftlichen Gegensätze kamen wieder zum
Ausdrucke. Auf der einen Seite der Wunsch, das zu-
griffsfreie Einkommen zu erhöhen, auf der anderen Seite
die Fürsorge für den Kleinkaufmann und Handwerker,
dessen Forderung unbefriedigt bleibt. Die Kommission
hatte Uebergang zur Tagesordnung beantragt. Ein
Antrag auf Ueberweisung zur Berücksichtigung wurde
abgelehnt. Sie erfolgte nur als Material. Damit
wird die Frage aber nicht zur Ruhe kommen.
Das Haager Abkommen über das Welt-
wechselrecht und die Wechselordnung liegt
dem Reichstage vor. Die Vertragsstaaten haben sich
!) Vgl, auch den Aufsatz vom RGF. Conrad 8. 765 d Nr
Die Schriftleitung.

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