Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 12.

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Auch wer in die Wirksamkeit inter-
nationaler Schiedsgerichte nur geringes Ver-
trauen setzt, wird den Wert dieser Abkommen,
die man als ein allgemeines Kriegsgesetzbuch
zusammenfassend bezeichnen kann, nicht ver-
kennen dürfen. Die Zahl der Staaten, welche
diese Abkommen als für sich bindend rati-
fizieren, nimmt immer mehr zu. Noch in den
letzten Tagen ist Spanien ihnen beigetreten.
Das Mißtrauen gegen die Schiedsgerichts**
barkeit beruht vielleicht oft auf unzutreffenden
Vorstellungen über ihren Inhalt und Zweck.
Im Art. 1 des Abkommens v. 18. Okt. 1907
erklären sich die Vertragsmächte einverstanden,
alle ihre Bemühungen aufwenden zu wollen,
um die friedliche Erledigung der internatio-
nalen Streitfragen zu sichern. »Gute Dienste
und Vermittelungen«, »internationale Unter*
suchungskommissionen«und schließlich »inter-
nationale Schiedssprechung« sollen diesem
Zweck dienen. Dieser Schiedssprechung sollen
insbesondere »Rechtsfragen und in erster Linie
Fragen der Auslegung oder der Anwendung
internationaler Vereinbarungen« unterworfen
werden, und es wird dabei als selbstverständ-
lich vorausgesetzt, daß Streitigkeiten, welche
die Ehre, die Lebensinteressen oder die Un-
abhängigkeit der Staaten berühren, nicht zum
Gegenstand von Schiedssprüchen gemacht
werden können.
Diese verständige Umgrenzung enttäuscht
allerdings alle phantasiereichen Friedensapostel,
welche von den Schiedsgerichten erwarteten,
sie würden alsbald die Zeit allgemeiner Ab-
rüstung und eines ewigen Weltfriedens herbei-
führen und den Uebergang zu einem »Welt*
Staat« oder doch zu einem »europäischen
Bundesstaat« einleiten.
In den Grenzen ihrer Aufgabe haben die
Schiedsgerichte bereits in zahlreichen Fällen
erfolgreich vermittelt — so z. B. 1908 in dem
bekannten Casablanca*Streit zwischen Deutsch-
land und Frankreich und 1911 in einem Streit
zwischen Frankreich und Großbritannien über
die Auslieferung des britischen Untertans
Savarkar an Frankreich. — Der Haager Schieds*
hof hat durch diese Sprüche, denen die be-
teiligten Staaten sich stets gefügt haben, wohl
seine Lebenskraft bewiesen.
Er verdankt sein Zustandekommen aber
der eigensten Entschließung unseres Kaisers.
England hatte in der Konferenz von 1899
das permanente Tribunal vorgeschlagen, Ruß-
land und Amerika hatten grundsätzlich zu-
gestimmt, ebenso Italien, Belgien, Holland

und die Schweiz. Auch Frankreich hatte sich,
wenn auch zögernd, angeschlossen, und Oester-
reich war dem Gedanken nicht abgeneigt.
Nur Deutschland lehnte entschieden ab. —
Mit einem diese Sachlage und ihre Gefahren
darstellenden Immediatbericht des deutschen
Delegierten, Geheimrats Professors Dr. Zorn,
begab sich in letzter Stunde der Staatssekretär
v. Bülow — der demnächstige Reichskanzler —
zum Kaiser nach Kiel. Der Kaiser über-
schaute sofort die Situation, und nach seiner
eigenen unmittelbaren Entscheidung nahm
Deutschland darauf den Schiedshof an, und
so war die erste Haager Konferenz gerettet.
Man kann Zorn nur zustimmen, wenn er
— in der Festgabe für Professor Dr. Güter*
bock — hierüber sagt:
Die welthistorische Bedeutung der Entscheidung
des Deutschen Kaisers liegt auf der Hand, ist in-
zwischen immer mehr anerkannt worden und wird
in ihrer Größe künftig noch mehr gewürdigt werden.
» *
*
Nur in engem Rahmen konnte die Schrift
die Darstellung versuchen, wie in den letzten
25 Jahren die deutsche Gesetzgebung die allge-
meine Fortentwicklung begleitet und gefördert,
von ihr aber auch Anregung und Gestaltung
erhalten hat. Sie wollte zeigen, wie viel ge-
schehen ist und noch zu tun bleibt.
Neben der Gesetzgebung steht als gleich
wichtiger Faktor die Gesetzesanwendung.
Hat nun der deutsche Richter sich den neuen
Aufgaben gewachsen gezeigt, und wird er ihnen
auch weiter gerecht werden können?
Die erste Frage zu beantworten, ist für
ein Glied des Standes hier nicht der Platz.
Die öffentliche Meinung hat vor nicht zu
langer Zeit das Schlagwort von dem »welt-
fremden Richter« geprägt, und es ist wohl
zum Teil die Wirkung dieser Auffassung, daß
die Presse mit Erfolg nach Sondergerichten mit
Laienbeisitz und nach Mitwirkung von Nicht*
juristen auch in den Strafkammern, selbst in
der Berufungsinstanz, rief. Es ist zu hoffen,
daß die Phrase ihre Zugkraft verloren hat.
Sie war auch in ihrer Verallgemeinerung eine
offenbare, bitter kränkende Ungerechtigkeit.
Weltfremde Menschen gibt es in jedem Stande,
auch in dem unseren. Aber das ist Eigenart
vereinzelter Richter, nicht Merkmal des Berufs.
Der Richter unserer Tage, den sein Amt im
täglichen, mündlichen Verkehr mit Menschen
aller Stände und Bildungsstufen, aller Inter-
essenkreise und der verschiedensten moralischen
und politischen Anschauungen in enge Be*

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