Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 9.

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Hat der Miterbe bei langwieriger Auseinander-
setzung Anspruch auf Verteilung der Einkünfte des
Nachlasses ? § 2038 BGB. Kl. ist rechtskräftig verurteilt,
seiner geschiedenen Ehefrau, der Bekl., einen monatlichen
Unterhalt von 100 M. zu zahlen. Er behauptet, daß ihre
Vermögensverhältnisse sich inzwischen gebessert hätten,
sie habe ihren Vater beerbt und beziehe von ihrem Erbteil
jährlich mindestens 1200 M. Zinsen. Er verlangt deshalb
mit der Klage gemäß § 323 ZPO. Beseitigung seiner Ver-
pflichtung aus dem früheren Urteil. Bekl. wendet ein,
daß es wegen Streitigkeiten zwischen den Miterben noch
nicht zur Auseinandersetzung gekommen sei. Das BG. hat
festgestellt, daß der Bekl. ein Viertel von ihres Vaters
Nachlaß zusteht, was einen Zinsgenuft von 1300 M. ergebe.
Es hat den Umstand, daß es noch zu keiner Verteilung
der Nachlaßeinkünfte gekommen sei, für einflußlos erklärt
und für genügend gehalten, daß der Bekl. das Recht auf
den Nachlaß zustehe. Es hat deshalb nach dem Klage-
untrage erkannt. Das RG. hat aufgehoben. Bloße Rechte,
obwohl sie Vermögenswerte darstellen, setzten für sich
allein niemanden instand, sich Unterhalt zu schaffen; das
Recht müsse sich auch verwirklichen lassen. Im Ausein-
•andersetzungsverfahren zwischen der Bekl. und ihren Mit-
erben sei der Vorschlag gemacht, die Einkünfte vorbehalt-
lich der weiteren Auseinandersetzung zu verteilen, er sei
aber von einem andern Miterben abgelehnt worden. Ohne
gütliche Einigung aber lasse sich eine Verteilung der Ein-
künfte vor beendeter Auseinandersetzung nicht erzwingen.
Sie erfolge nach § 2038 Abs. 2 BGB. erst bei der Aus-
einandersetzung. Die Vorschrift, die bewußt von dem Grund-
sätze der mitangezogenen §§ 743 Abs. 1, 745 Schlußsatz
ab weicht, solle der Gefahr Vorbeugen, daß ein Mit erbe,
der schließlich nichts zu fordern habe, vorher Früchte er-
halte. Einer infolge davon auf der anderen Seite möglichen
Schädigung einzelner Miterben könne auch nicht dadurch
begegnet werden, daß man die Zulässigkeit einer Regelung
durch Mehrheitsbeschluß annehme. Das grundsätzliche
Verbot vorzeitiger Teilung der Früchte sei dahin zu ver-
stehen, daß jeder Erbe auch gegen Mehrheitsbeschlüsse
dieser Art gesichert sein solle. Auch der Schlußsatz des
§ 2038 BGB. sei nicht anwendbar, wonach am Schlüsse
jedes Jahres der Reingewinn verteilt werden dürfe, wenn
die Auseinandersetzung auf länger als ein Jahr ausge-
schlossen sei. Dieser Fall liege nicht vor, wenn sie in
Gang gebracht, aber infolge innerer oder äußerer Hinder-
nisse verzögert werde; gedacht sei offenbar an die Fälle
testamentarischen, gesetzlichen oder vertragsmäßigen Aus-
schlusses, §§ 2043,2044.2042 Abs. 2 verb. m. § 749 Abs. 2 BGB.
<Urt. IV. 387/12 v. 23. Jan. 1913.)
Haftung des Scheckkunden für Mißbrauch des
Scheckbuchs. Der klagende Verein mehrerer großer
Brauereien unterhält ein Konto bei der bekl. Bank und
hat für die Abhebung der täglichen Gelder ein Scheckbuch
erhalten. Nach den Bedingungen für den Scheckverkehr
muß er die Formulare sorgfältig aufbewahren und alle
Nachteile der Zuwiderhandlungen bei Mißbrauch des Scheck-
buchs selbst tragen. Ein Angestellter des Kl. fälschte einen
Scheck mit dem im Büro des Kl. gebrauchten Faksimile-
stempel des Direktors des Kl. und hob auf diesen Scheck
10000 M. ab. Kl. will diese Entnahme nicht gelten lassen
und verlangt Zahlung der 10 000 M. Bekl. macht dem Kl.
zum Vorwurf, daß er die Scheckformulare nicht in einem
Geldschrank oder in einem mit Kunstschloß versehenen
Behältnis auf bewahrt habe. Die Klage ist in allen Instanzen
abgewiesen. Der Mißbrauch des Scheckbuchs, zu dessen
sorgfältiger Aufbewahrung der Kl. verpflichtet war, bestand
darin, daß durch Verwendung eines Faksimilestempels
die Bekl. in den Glauben versetzt war, es handle sich um
einen unterschriebenen Scheck. Bei der Aufbewahrung von
Schecks müsse mit besonderer Sorgfalt verfahren werden,
die hier noch erhöht zu fordern sei, weil in dem Zimmer,
in dem der Schreibtisch mit dem Scheckbuch darin stehe,
außer der mit der Verwahrung betrauten Angestellten noch
andere, so der Hilfsschreiber, der die Fälschung vorge-
nommen, beschäftigt seien und die verantwortliche Person
häufig den Raum auf längere Zeit zu verlassen habe. Wenn

daher die Aufbewahrung in einem diebessicheren Behält-
nis gefordert werde, sei dies keine Ueberspannung des
Begriffs der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. (Urt. III.
295/12 v. 28. Jan. 1913.)
2. Strafsachen.
Mitgeteilt von Reichsgerichtsrat Zaeschmar, Leipzig.
Verurteilung eines aus Rußland Ausgelieferten wegen
einer Straftat, die nicht Gegenstand des der Auslieferung
vorangegangenen Verfahrens war. Angekl. ist im
Jan. 1911 ausgeliefert worden. Darauf wurden weitere
von ihm begangene Straftaten ermittelt, die unter dem
24. Mai 1911 zum Erlaß eines neuen Haftbefehles führten.
Die russische Regierung hat sich darauf ausdrücklich da-
mit einverstanden erklärt, daß der Angekl. auch wegen
derselben zur Verantwortung gezogen werde. Die Revision
des verurteilten Angekl. wurde verworfen. Mit Rücksicht
auf das nachträglich erklärte Einverständnis der russischen
Regierung ist die prozeßrechtliche Lage die gleiche, als
wenn der Angekl. wegen dieser Straftaten ausgeliefert wäre.
Aus Art. II. des Abk. zwischen Preußen und Rußland vom
13. Jan. 1885*) ergibt sich nichts anderes. Ein entgegen-
stehender allgemeiner Grundsatz ist auch vom RG. Bd. 45
S. 271 ff. der Entsch. i. Strafs. nicht aufgestellt. Ob der
Auslieferung nach dem zit. Art. II. etwas entgegenstand,
hatte die russische Regierung nach ihrem Ermessen zu
entscheiden, ehe sie sich mit der Strafverfolgung einver-
standen erklärte. Uebrigens würden die dem Angekl. neu
zur Last gelegten Straftaten auch nach russischem Rechte
strafbar und ohne Antrag verfolgbar sein (wie nachge-
wiesen wird). (Uit. II. 445/12 v. 6. Dez. 1912.)
Zuständigkeit des Gerichtsschreibers zur Entgegen-
nahme der Revisionsanträge. Der auf freiem Fuße be-
findliche Angekl. ist durch das LG. zu X zu Strafe ver-
urteilt worden. Seine Revision wurde vom RG. durch
Beschluß als unzulässig verworfen. Die rechtzeitig einge-
legte Revision hatte der Angekl. zwar zu Protokoll eines
Gerichtsschreibers begründet, aber nicht des nach § 385
Abs. 2 Str.PO. allein zuständigen Gerichtsschreibers, näm-
lich des LG. zu X. (Entsch. in Strafs. Bd. 7 S. 174),
sondern des Amtsgerichts zu Y. Die Zuständigkeit des
letzteren zur Entgegennahme der Revisionsrechtfertigung
konnte auch nicht dadurch begründet werden, daß das
LG. zu X das AG. zu Y ersucht hatte, dem Angekl. Ge-
legenheit zu geben, eine Revisionsrechtfertigung zu Protokoll
zu erklären. (Beschl. V. 1524/12 v. 6. Dez. 1912.)
Kirchliche Eheschließung von Ausländern in
Deutschland. Angekl. ist Rabbiner der staatlich aner-
kannten israelitischen Synagogengemeinde zu X. Er hatte
in den Jahren 1910 und 1911 zu X vier Trauungen nach
jüdischem Ritus vollzogen an russischen israelitischen
Verlobten, die sich auf der Durchreise durch Deutschland
daselbst aufhielten. In allen Fällen wurden ihm von den
Verlobten diejenigen Papiere vorgelegt, deren Vorlegung
von den in Rußland amtierenden Rabbinern verlangt
wird. Er wußte aber, daß eine Eheschließung jener Per-
sonen weder in Rußland noch vor einem Standesbeamten
in Deutschland statt gefunden hatte. Die Verurteilung des
Angekl. aus § 67 des Peisonenstandsges. v. 6. Febr. 1875
ist gerechtfertigt. Denn ein Ausnahmefall des Abs. 2 des
angezogenen § 67 in der Fassung des Art. 46 Nr. IIIE.
z. BGB. lag nicht vor. Es waren deshalb die Voraus-
setzungen des § 67 Abs. 1 a. a. O. gegeben. Bedeutungslos
ist es, daß tatsächlich alle Vorbedingungen erfüllt waren,
die von dem russischen Rechte für eine in Rußland er-
folgte Eheschließung erfordert werden, und daß das russische
Recht den Israeliten zu einer gültigen Eheschließung die
Trauung durch einen Rabbiner vor schreibt. Denn nach
Art. 13 Abs. 3E. z. BGB. bestimmt sich die Form einer
Ehe, die im Inlande geschlossen wird, ausschließlich nach
den deutschen Gesetzen. Der in X unter Mitwirkung des
Angekl. — eines Religionsdieners, keines Standesbeamten —
vorgenommene Akt konnte daher niemals eine nach deutschem
Rechte gültige Eheschließung darstellen. Es kommt deshalb
i) Vgl. Bek. des preuß. Ministeriums der ausw. Angelegen-
heiten in Nr. 20 des Reichsanzeigers v. 23. Jan. 1885.

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