Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

12.6.2. Die öffentlichen Sparkassen und die neueste Gesetzgebung in Preußen

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 6.

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sie um zwei Bäume schlangen. Hierdurch sind zwei In-
sassen eines in schneller Fahrt dahineilenden Automobils
zu Tode gekommen, ein weiterer Insasse ist schwer ver-
letzt worden. Der den Wagen lenkende Ehemann PI. wurde
des über die Chaussee gespannten Drahtseils in der Dunkel-
heit nicht gewahr und fuhr mit solcher Wucht dagegen an,
daß ihn das Seil tödlich am Kopfe traf, die Ehefraukwurde aus
dem Wagen geschleudert und durch den Sturz getötet. Wird
sich — vorausgesetzt, daß die Täter gefaßt werden — be-
weisen lassen, daß sie den Tod der Opfer gewollt haben?
Auch nur im Sinne des dolus eventualis? Von einer Reihe
tatsächlicher Feststellungen, von der Beantwortung schwie-
riger Beweisfragen, wird es abhängen, ob die Verbrecher
wegen Mordes, wegen Körperverletzung mit tödlichem Aus-
gang, Versuchs des schweren Raubes oder nur wegen fahr-
lässiger Tötung bestraft werden. Jedenfalls erweist sich unser
StrGB. diesem schändlichen Attentat gegenüber insofern
lückenhaft, als hier nicht wie bei der vorsätzlichen Eisenbahn-
transportgefährdung des § 315 die Herbeiführung der Gefahr
schlechthin mit Strafe bedroht ist. § 321 StrGB. versagt,
weil im vorliegenden Fall die Straße selbst nicht zerstört
oder beschädigt worden ist. Diese Lücke will der Vor-
entwurf ausfüllen. Zwar nicht, indem er die Gefährdung eines
Automobiltransports der des Eisenbahntransports gleichstellt,
er erweitert aber den Tatbestand des §321. Die Motive weisen
darauf hin, daß Verkehrsgefährdungen, wie sie der § 321
StrGB. im Auge hat, auch auf andere Weise, z. B. ohne
Beschädigung des Weges durch Bereitung in der Dunkelheit
nicht oder nur schwer wahrnehmbarer Hindernisse, wie
durch Ziehen von Drähten, Hinlegen von Balken und
dergl., herbeigeführt werden können; auch solche gröbliche
Gefährdungen der Verkehrssicherheit zu strafen, sei Be-
dürfnis. Die beste Illustration zu diesen Ausführungen ist
das Automobilverbrechen auf der Hennigsdorfer Chaussee!
Mit Recht bedroht daher nach dem Muster des Schweizer
Entwurfs von 1903 § 182 VE. ganz allgemein die Herbei-
führung von Gefahr für Menschenleben durch Störung der
Sicherheit des öffentlichen Verkehrs auf Straßen, Wegen oder
Plätzen mit Gefängnis; für „besonders schwere Fälle“
ist Zuchthaus vorgesehen.
In der Tat wird nur so ein nachdrücklicher, von der
Zufälligkeit der Unfallsfolgen unabhängiger Schutz des
öffentlichen Verkehrs auf den Landwegen gewährleistet; er
wird, wie die Motive zum VE. sagen, um so notwendiger,
je mehr zu erwarten ist, daß die fortschreitende Technik
die Schnelligkeit und Gefährlichkeit der Verkehrsmittel auf den
Landstraßen vermehren wird. Doch man braucht gar nicht
bloß an Fahrräder und Automobile zu denken, die der Ge-
setzgeber von 1870 noch nicht kannte, — auch das
gewöhnliche Fuhrwerk, den harmlosen Wanderer gilt
es zu schützen. Mit dem objektiven Tatbestand des § 182 VE.
können wir uns also ganz einverstanden erklären. Das in
subjektiver Hinsicht aufgestellte Erfordernis „absichtlicher“
Gefährdung will uns aber dazu angetan scheinen, einen
wirksamen Verkehrsschutz zu vereiteln. Der Gegenentwurf
hat es in seinem § 221 mit Recht fallen lassen; die vor-
sätzliche Gefährdung muß genügen. Dann würden Ver-
brecher wie die vom 2. März der mindestens verdienten
Zuchthausstrafe keinesfalls entgehen: ein „besonders
schwerer“ Fall ist unter den vorliegenden Umständen
zweifellos gegeben.
Staatsanwalt, Privatdozent Dr. Klee, Berlin.

Die öffentlichen Sparkassen und die neueste
Gesetzgebung in Preußen. Die öffentlichen Sparkassen
in Preußen verfolgen hohe volkswirtschaftliche Aufgaben.
Sie sind berufen, finanzielle Sittlichkeitstendenzen zu för-

dern und namentlich das Sparbedürfnis der ärmeren Volks-
klassen durch die Entgegennahme und zinstragende Ver-
anlagung auch geringfügiger Kapitaleinlagen zu heben.
Es sind Institute, deren eigentlicher Zweck nicht in der
Erzielung mehr oder minder großer Unternehmergewinne
besteht, und in diesem Sinne ist auch bisher die An-
legung der ihnen zugeführten Bareinlagen erfolgt. Satzungs-
gemäß werden letztere in erstklassigen Hypotheken, inlän-
dischen Staatspapieren, Pfandbriefen und Schuldscheinen
mit Bestellung von Sicherheiten angelegt. Auch die Ver-
bindung mit öffentlichen Leihhäusern und gleichgearteten
Instituten ist zulässig und die Diskontierung von Wechseln
gestattet.
Die bisherige Finanzpolitik der preußischen Sparkassen
hat seit langer Zeit zu Klagen keine begründete Veran-
lassung gegeben, nur die eigenartige Lage des Geldmarktes
läßt ihnen gegenüber eine Steigerung des Bestandes an
Reichs- und Staatsanleihen geboten erscheinen. Diesem
Wunsch entspricht das „ Gesetz betr. die Anlegung von
Sparkassenbeständen in Inhaberpapieren“ vom
23. Dez. 1912. Sein Kernpunkt ruht in der Bestimmung,
daß fortan von dem verzinslichen Vermögen statt der bis-
herigen 10 % bei einem Einlagebestand von 5 bezw. 10
oder noch mehr Millionen M. 15%, bezw. 20% oder
25 % in mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den
Inhaber anzulegen sind, von denen drei Fünftel Anleihe-
beträge des Deutschen Reiches oder Preußens sein sollen.
Die teilweise Verwendung der Jahresüberschüsse für Wohl-
fahrtszwecke kann in einem für die Einzelheiten genau
bestimmten Verhältnis (§ 7) zu dem in mündelsicheren
Schuldverschreibungen angelegten Vermögen erfolgen.
Die öffentlichen Sparkassen in Preußen sind durchweg
als finanzielle Musteranstalten zu bezeichnen, in denen
individuelles Pflichtbewußtsein, stark ausgeprägte Solidität
und bewährter Ordnungssinn herrschen. Die durch Staats-
kontrolle bedingte Gemeindegarantie bietet den Einlegern
die größtmögliche Sicherheit und hat sie durchweg vor
Verlusten geschützt. Die Notwendigkeit einer Sanierung
dieser Institute, gleichviel nach welcher Richtung, liegt
daher nicht vor. Das neue Gesetz bezweckt auch tatsäch-
lich nicht, die VerwaltungsOrganisation der Sparkassen
wesentlich zu ändern oder zu bessern, sondern zielbewußt
und absichtlich den öffentlichen Kredit des Reiches und
Preußens zu fördern. Dies ist sicher, auch im Vergleich
zu vielen Auslandsstaaten, bei denen, wie in England,
Frankreich, Italien usw., die Anleihen dauernd ein höheres
Kursniveau wie in Deutschland haben, berechtigt und er-
wünscht. Auch wird zweifelsohne durch die neue Bestimmung
die Nachfrage nach den zuvörderst in Frage stehenden
Schuldverschreibungen erhöht und die dauernde Begebung
der letzteren erleichtert werden. Aber das Gesetz ist doch
nach Tendenz und Zweckbestimmung fragwürdig. Die
zwangsweise vorzunehmende Steigerung der Anleihebestände
verkettet die Sparkassen noch mehr als bisher mit der
Kursentwicklung, die der schwankende Börsenverkehr
erzeugt. Schon die Vergangenheit liefert für dieses Gegen-
seitigkeitsverhältnis wenig erfreuliche Belege. Es be-
zifferte sich der Jahresultimokurs z. B. für die 3% Deutsche
Reichsanleihe 1895 auf 99,60%, 1900 auf 87,80%, 1910
auf 85,10 %, 1912 aui 77,80 %. Innerhalb von 17 Jahren
erfolgte daher einKursrückgang von ungefähr 22%, und ähn-
lich liegen die Verhältnisse bei den preußischen 3% Konsols.
In dem nächsten Jahrzehnt wird nun zwar hoffentlich
nicht ein gleicher Niedergang eintreten; denn dies wäre
ein tief bedauerliches, nationales Unglück; aber eine wesent-
liche Kurssteigerung der Anleihen ist bei dem dauernden
Geldbedarf des Reiches und auch Preußens sowie der
stetig drohenden Eventualität des Krieges mit Sicherheit

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