10.6.5.
Referendare als Journalisten
(Prof. Dr. Reichel)
10.6.6.
Ein Rückschritt in der Gesetzessprache
(OAR. Dr. Leverkühn)
265
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 4.
286
Ware es nur die Förderung einer billigen und
bequemen Versicherung, die bei der Abonnentenver-
sicherung in Betracht käme, so würde man ihr bei der
großen Bedeutung, die sie bereits gewonnen hat, mit
Ruhe gegenübertreten dürfen. Eine wirtschaftliche Gefahr
erwächst ja im wesentlichen auch nur aus der unbeauf-
sichtigten Abonnenten Versicherung, die Ende 1911, so-
weit es sich hat ermitteln lassen, bei 143 Zeitungen und
Zeitschriften über 21/2 Millionen Versicherte hatte, im
Gegensätze zur beaufsichtigten mit etwa 1700000 Ver-
sicherten als Beziehern von 154 verschiedenen Zeitungen
und Zeitschriften. Lehrreich ist es, zu sehen, daß diese
in beiden Fällen meist nur Fachblätter oder solche ört-
lichen beschränkten Einflusses sind; besonders zahlreich
hat sie das deutsche Bergwerksgebiet. Von der größeren,
führenden Presse ist kein Blatt unter ihnen vertreten.
Die Denkschrift, die sich keineswegs dem in gewissen
Maße verdienstlichen Wirken dieser Klein-Versicherung,
wenn ich sie so nennen darf, selbst bei der unbeauf-
sichtigten verschließt (S. 148), vermag in sehr ein-
leuchtender Weise vorzuführen, wie mangelhaft bei letzterer
schließlich doch die Versicherungsleistungen seien, und
wie rechtlich hilflos ihr die sich „versichert“ glaubenden
Besteller gegenüb erstehen. Gericht und andere Behörden
haben ja schon scharf gegen diese Mißstände gekämpft, —
die darüber ausführlich mitgeteilten Beispiele sind, solange
nicht ein Gesetz erlassen, als Vorbild für die Praxis sehr
wertvoll; aber gegenüber der vom Reichsgerichte bei § 108
des VAG. in seiner Strafrechtspraxis festgehaltenen
Auslegung, wonach ein sich einem anderen (Haupt-)
Gewerbe unterordnender Versicherungsbetrieb nicht auf-
sichtspflichtig sei, ist gegen diese wilde Ver-
sicherung am Ende wenig oder nichts zu machen. Wie
es aber zu diesem Unterschiede von Aufsicht und Nicht-
aufsicht kommen kann, darüber noch einige Worte.
Die Abonnentenversicherung wird verschieden be-
trieben. Entweder nimmt der Zeitungsverleger für seine
Besteller bei einer Versicherungsanstalt Versicherung und
verwendet einen Teil des Zeitungspreises dafür; dann
unterliegt das Versicherungsverhältnis, wie alle von einer
solchen Anstalt eingegangenen, der Aufsicht in den
Grenzen des Gesetzes von 1901, und es besteht nur der
oben angedeutete Mißstand, daß allzuwenig bei einer
solchen Versicherung in Rücksicht auf die geringfügige
Prämie geleistet werden kann. Oder aber der Verleger
spielt selbst den Versicherer im „Nebenbetriebe“, bleibt
dann von der Reichsaufsicht frei und muß sich nun durch
heimtückische Bedingungen davor schützen, nicht zu
schwer am Risiko zu tragen. Nicht nur den Angriffen aus
§ 108 cit. und § 56 der GO., sondern auch auf Grund
des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb haben
solche Unternehmungen getrotzt. Und so wird es schließ-
lich ohne verschärfende Umgestaltung des § 108 cit. nicht
abgehen; ein einfaches Ausrotten der Abonnentenver-
sicherung wäre dagegen gewiß verfehlt! Die vom Reichs-
amt des Innern mustergültig verfaßte Denkschrift wird
das vollends klar gestellt haben.
Geh. Justizrat, Oberlandesgerichtsrat Schneider, Stettin.
Referendare als Journalisten. Der im Okt. 1912
zu Hagen i. W. versammelte Verbandstag der rheinisch-
westfalischen Presse hat sich einstimmig für die zeitweise
Beschäftigung von Referendaren bei geeigneten Zeitungs-
redaktionen ausgesprochen. Er hat damit einer Anregung
Folge gegeben, die ich im „Recht“ 1911, S. 577 gegeben
hatte und die dahin ging, Referendare fakultativ als
Prozeßberichterstatter zu beschäftigen. RA. Dr. Hachen-
burg hält dieses Postulat für bedenklich (DJZ. 1912,
S. 1514); es sei nicht ratsam, den jungen Juristen dem
unmittelbaren politischen Einfluß einer einzelnen Zeitung
auszusetzen. Dieses Bedenken erscheint grundlos. Der
Referendar soll natürlich keine Leitartikel verfassen. Er
soll lediglich Gerichtssaalberichte und allenfalls juristische
Entrefilets liefern. Diese Dinge aber sind unpolitischer
Natur. Wie es bei dieser Sachlage möglich sein soll,
den Referendar unmittelbar politisch zu beeinflussen, ist
schwer erfindlich. Im Gegenteil: soweit ihm überhaupt
hinter die Kulissen zu blicken ermöglicht wird, dürfte
er weit eher zu einer skeptischen Haltung gelangen.
Zu bestreiten ist mindestens, daß eine halbjährige Be-
schäftigung auf einer guten Redaktion, die doch auch
gegnerische Zeitungen stets vor Augen hat, den jungen
Juristen stärker beeinflussen sollte als die jahrelange ein-
seitige Lektüre eines politischen Leibblattes. Im übrigen
aber muß mit Nachdruck verlangt werden, daß wir junge
Männer, die privatrechtlich und großenteils auch öffentlich-
rechtlich bereits mündig sind, auch in Hinsicht ihrer
politischen Urteilsreife nicht mehr als unmündig behandeln.
Anderenfalls wäie nicht abzusehen, warum nicht bei-
spielsweise auch die Beschäftigung bei politisch pronon-
zieiten Anwälten sollte unterbunden werden. Jeder Ein-
sichtige wird zugeben, daß solche Bevormundung nicht
angeht. Sind hiernach die Einwendungen Hachenburgs
ohne Ueberzeugungskraft, so wird, nachdem die Presse
ihre Bereitwilligkeit in so erfreulicher Weise dokumentiert
hat, die juristische Fachwelt nicht umhin können, dem
erhobenen Postulat ernsthaft näherzutreten — es wäre
denn, daß sie wirklich stichhaltige Gegengründe beizu-
bringen vermöchte.
Professor Dr. Reichel, Zürich.
Ein Rückschritt in der Gesetzessprache. Der
Entwurf eines Gesetzes über das Verfahren gegen Jugend-
liche braucht ausschließlich den Ausdruck „Vormund-
schaftsbehörde“, während im BGB. und in allen
übrigen Reichsgesetzen ausschließlich der Ausdruck „Vor-
mundschaftsgericht“ gebraucht wird. Diese Tatsache
ist im Rahmen jenes Entwurfes völlig harmlos; dem Interesse
der einheitlichen deutschen Rechtssprache aber steht sie
im Wege. Nur dann freilich wäre sie bedeutungsvoll, wenn
jetzt Anlauf genommen werden sollte, die Obervoimund-
schaft den Gerichten wieder zu nehmen und sie anderen,
namentlich Verwaltungsstellen zu geben; doch daran denkt
niemand.
Die Begründung des Entwurfs beschränkt sich (zu § 5)
wegen des neu gewählten Ausdrucks auf folgende Worte:
Den Ausdruck „Vormucdschaftsbehörde“ gebraucht der Entwarf
in demselben Sinne wie das BGB. den Ausdruck „Vormundschafts-
gericht“. Die Abweichung rechtfertigt sich, weil in einigen Bundes-
staaten andere als gerichtliche Behörden für die dem Vormundschafts-
gericht obliegenden Verrichtungen zuständig sind (Art. 147 Abs. 1
EG. z. BGB.).
Ich glaube nicht zu weit zu gehen, wenn ich diese
Begründung dürftig nenne angesichts der seitenlangen Er-
örterungen inj 4. Bande der Motive zum ersten Entwurf
von 1888, in denen dargelegt wird, aus welchen Gründen
die Obervormundschaft den Gerichten zu geben sei, ob-
wohl damals die Zahl der angeführten anderweitigen ober-
vormundschaftlichen Stellen weit größer war als jetzt.
Gegenwärtig gibt es solche Stellen nur noch in Hamburg,
Württemberg und beiden Mecklenburg. Gutem Vernehmen
nach steht Hamburg vor der Uebertragung der Obervor-
mundschaft auf das Amtsgericht; in Württemberg gibt es
eine gerichtliche Oberaufsicht über die Bezirksnotare und
Waisenrichter; in Mecklenburg sind neben städtischen