10.6.4.
Zur Frage der sog. Abonnentenversicherung
(OLGR., Geh. JR. Schneider)
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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 4.
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2. Stellungen und Rechte als Beistand müssen,
unter Durchbrechung elterlicher Erziehungsmacht, etwa in
Analogie von §§ 1688-ff. BGB., dem Helfer auch außer-
halb eines Strafverfahrens und nach Beendigung
desselben von der Vormundschaftsbehörde übertragen
werden können.
„Schutzaufsicht“ und „Fürsorger“ sind Institutionen,
die nicht mehr entbehrt werden können. Indessen sie
sind durch zweierlei Vorgänge an ihrer wirksamen Ent-
altung wesentlich behindert.
Nomina sunt odiosa. Bei „Schutzaufsicht“ wirkt nicht
selten der Gedanke an „Polizeiaufsicht“ hemmend und
lähmend. Nicht bloß die Eltern und der Jugendliche, auch
Arbeitgeber, Dienst- und Lehrherren nehmen deshalb häufig
daran Anstoß. Mißtrauen und Dienstentlassung sind die
Folge. Auch der „Fürsorger“ wird wegen des Anklangs
an Fürsorgeerziehung meist beanstandet, da letztere oft
lediglich als Strafmittel von der öffentlichen Meinung be-
wertet wird. Die Bezeichnung und Bestellung als „Bei-
stand“ würde manche Voreingenommenheit beseitigen und
sicher dem Jugendschutz selbst die Wege ebnen helfen.
Auch wäre damit ohne weiteres die Möglichkeit gegeben,
dem Helfer auf gesetzlichem Wege Befugnisse zu erteilen,
die ihm Hausrecht und Erziehungsmacht sichern. Der
Widerstand des Erziehungsberechtigten und der Umgebung
des Jugendlichen ist das schwerste Hemmnis aller Jugend-
hilfsarbeit. Ihre bisherige Machtlosigkeit muß beseitigt wer-
den, wenn ihr zur vollen Wirksamkeit verhelfen werden soll.
3. Der Beistand im Jugendgerichtsverfahren wie bei
der Jugendhilfsarbeit bedarf berufspflichtmäßiger
Ausgestaltung. Die freiwillige Liebestätigkeit kann
nicht überall' ausreichende Gewähr für die unentbehrliche
Sachkunde und Stetigkeit der Arbeit bieten. So wenig die
freiwilligen Hilfskräfte entbehrt werden können, so sicher
sind sie bei ihrer Arbeit auf beamteten Einschlag und auf
Unterweisungen angewiesen, die nur berufsmäßig gewonnen
und gegeben werden können. Das wird sich in noch
höherem Maße notwendig' machen, wenn die Jugendhilfe
gesetzliche Formen unter Bestellung als „Beistand“ ge-
winnt. Auch kann nur der berufsmäßige Beistand aus-
reichender Kontrolle durch die Behörde unterstellt werden.
Dabei ist nicht zu fürchten, daß durch den Berufsbeistand
die benötigte freiwillige Helfertätigkeit ausgeschaltet werde.
Sie wird als Gehilfe und Organ des Berufsbeistandes und
unter dessen Führung ein reiches Arbeitsgebiet finden.
Insoweit ist bereits das Institut der Berufsvormundschaft
vorbildlich geworden.
Wird der Berufsbeistand seitens der Vormund schafts-
beb örde den freiwilligen Jugendhilfsorganisationen ent-
nommen, so wird damit die beamtete Spitze für eine
Tätigkeit geschaffen, die ihre Wurzeln und Kräfte in der
hilfsbereiten Bevölkerung findet. Der Helfer ist dann das
ausführende Organ des Berufsbeistandes und findet in ihm alles
das, dessen er, der Hilfsbedürftige und die Behörde bedürfen.
Ohne die Erfüllung dieser drei Forderungen wird auch
das Jugendgerichtsverfahren des Entwurfs kaum zu einer
befriedigenden Lösung der Jugendgerichtshilfe gelangen.
Dagegen wird sich mit der Erfüllung jener Forderungen
selbst bei einem Scheitern des Entwurfs, so schwer dies
sonst auch empfunden werden würde, die Jugendhilfe in-
und außerhalb des Rahmens des Strafverfahrens gegen
Jugendliche lebensstark entwickeln können. Denn ersicht-
lich werden der „Berufsbeistand“ und seine Hilfsorgane
dem Gerichtsverfahren Formen geben, die ihm jetzt fremd
sind. Sie werden Grund und Inhalt jugendlicher Hilfs-
bedürftigkeit und jugendlichen Fehlgangs in anderer
Weise wie bisher auf klären und die zu ihrer Be-
hebung erforderlichen Maßnahmen anregen und durch-
führen können. Dies insbesondere dann, wenn die Vor-
aussetzungen für das Eingreifen staatlicher Fürsorge-
erziehung nicht gegeben sind. Im Zusammenhang mit be-
dingter Begnadigung und Bewährungsfrist wer dm sie auch
in umfassenderer Weise in der Lage sein, die nachteiligen
Folgen gerichtlicher Bestrafung von dem Jugendlichen ab-
zuwenden. Irrungen und Versagen der Jugendhilfe werden
dabei mit der Unterstellung des Berufsbeistandes unter
die Vormundschaftsbehörde rasch zu beseitigen sein. Mit
und durch den Berufsbeistand wird die Mitarbeit humanitärer
Kreise an Jugendschutz und Jugendhilfe in und außerhalb
dessen, was das „Jugendgericht“ sein und werden soll, erst
ihren vollen Gehalt erlangen. Damit wird zugleich erreicht,
daß die Allgemeinheit am Kampfe gegen Jugendverwahr-
losung mit ständig wachsender Neigung werktätigen
Anteil nimmt.
Amtsgerichtspräsident Dr. Becker, Dresden.
Zur Frage der sog. Abonnentenversicherung.
Mitte Januar hat der Reichskanzler dem Reichstage eine
„Denkschrift über Abonnentenversicherung“ vorgelegt, die
im Reichstag vom 5. Febr. Gegenstand der Beratung war.
In jener Denkschrift ist diejenige Versicherung behandelt,
„die die Abonnenten von Zeitungen oder Zeitschriften in
ihrer Eigenschaft als Abonnenten genießen“ (S. 1). Ein
Entwurf ist noch nicht beigegeben; es sollte zunächst nur
verschiedentlichen Wünschen des Reichstags durch eine
lieber sicht über diesen auch politisch stark umstrittenen
Rechtsstoff entsprochen werden, wie sie sich der einzelne
kaum zu verschaffen vermöchte. Das Versichertsein, so
muß man obige Begriffsbestimmung noch deutlicher fassen,
wird für den Zeitungspreis, also insofern „unentgeltlich“,
mitgeliefert.
Eine derartige Versicherung — gewöhnlich gegen
Unfall — mit einem anderen Rechtsgeschäfte, der Zeitungs-
bestellung, zu verbinden, kommt bekanntlich nicht nur bei
dieser vor; man hat es vielmehr jetzt sogar schon zur
Aushändigung eines Versicherungsscheins als „Zugabe“
beim Ankäufe von Trauringen gebracht. Ein Verbot, das
sich allein gegen eine solche Verknüpfung mit der Presse
richtete, triebe also vermutlich diese Ausnutzung der Ver-
sicherung nur auf andere Gebiete hinüber und zur Ver-
knüpfung mit anderen Erwerbsgelegenheiten, unterdrückte
die damit verbundenen etwaigen Miß stände für das Ver-
sicherungswesen also nicht. Das darf nicht unbeachtet
bleiben, wenn sich gerade nur gegen die Abonnenten-
fängerei durch Zuwendung einer unentgeltlichen Ver-
sicherung die Politiker sowie die Vertreter der angesehenen
Presse wenden. Auch macht die Denkschrift (S. 71) mit
Recht darauf aufmerksam, daß die Abonnentenversicherung
in gewisser Weise für die Verbreitung einer wahren
Volks Versicherung, wie sie jetzt von verschiedenen
Seiten geplant wird, vorbildlich sein könne. Man denke
an den Beherrschen Sparkassen-Zeitungsplan!
Andererseits findet die Abonnentenversicherung aber
auch in Versicherungskreisen heftige Gegnerschaft —
nicht nur, soweit sie sich größtenteils der gesetzlichen
Aufsicht nach dem Reichsgesetze von 1901 zu entziehen
vermocht hat, sondern auch weil selbst die ordnungsmäßige
Versicherung unter diesen Umständen zu wenig leiste,
eitle Hoffnungen errege und doch von Eingehung einer
ausgiebigen Versicherung leicht abhalte. Je weniger an
Entschädigung im Grunde geleistet wird, um so mehr
nähert sich in der Tat eine solche Versicherung dem
Lotteriespiele zugunsten einiger Entschädigten als Ge-
winner! Und das darf die Versicherung doch nie und
nimmer sein.