10.6.2.
Urteilsveröffentlichungen
(Wirkl. Geh. R. Dr. Hamm)
10.6.3.
Wessen bedarf die Jugendgerichtshilfe?
(AGPräs. Dr. Becker)
281
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 4.
282
Man lasse also die jungfemhafte Verschämtheit und
nenne, wie es auch das Schweizer Bundesgericht, das hervor-
ragendste aller kontinentalen Gerichte, tut, schlankweg die
Namen der Parteien so, wie sie sind und wie sich im
Leben darstellen.
Geh. Rat, Professer Dr. Köhler, Berlin.
II. In französischen Urteilssammlungen, so in der
bekannten Sammlung Sirey, findet man mitunter folgenden
Vermerk: Jugement d’espece. Das soll heißen, daß die
tatsächliche Lage des entschiedenen Falles eine besondere
war, sonach die Entscheidung keine grundsätzliche Be-
deutung habe und ungeeignet sei, Schule zu machen.
Diese Hebung verdient in die Sammlungen der Entschei-
dungen deutscher Gerichte übernommen zu werden, und
man könnte bei uns etwa sagen: Besonderer Fall.
Abgesehen von diesen besonderen Fällen ist auch im
allgemeinen zum Verständnis eines Urteils meist eine ge-
naue Kenntnis der tatsächlichen Lage des Falles erforder-
lich. Dies gilt vor allem für die Praxis, die das Urteil
bei Entscheidung anderer Fälle zu benutzen gedenkt. Es
trifft aber auch für die Theorie zu, wenn sie das Urteil
wissenschaftlich verwerten will. Insbesondere kann die
Theorie nur bei Offenliegen des tatsächlichen Untergrundes
ersehen, ob der Entscheidung ein Rechtsbedürfnis des
praktischen Lebens zugrunde liegt.
Der hochgeschätzte Verfasser des vorstehenden Artikels
zählt zu denjenigen Männern der Wissenschaft, die in be-
sonderem Maße und mit besonderem Erfolge bemüht sind,
die Theorie durch die Ergebnisse der Rechtsprechung zu
befruchten, und dann wiederum die Rechtsprechung durch
die wissenschaftliche Begründung der Rechtsanschauungen,
die diese aus den Rechtsbedürfnissen des Verkehrs ge-
wonnen hat, zu stützen. Es ist im höchsten Grade unter-
richtend und interessant, daß der Verf. in diesem Zu-
sammenhang selbst auf die Mitteilung der Namen der
Parteien Wert legt. Seine Ausführungen, daß es ihm
namentlich bei den Studien über Markenrecht und Wett-
bewerb vielfach wichtig sei, Namen und Firmen der Par-
teien zu wissen, zwischen denen die Entscheidung ergangen
sei, sind überzeugend.
Aber andererseits ist auch das große Interesse zu be-
rücksichtigen, welches diese Personen in manchen Fällen
daran haben können, nicht in der Oeffentlichkeit als Täter
der Handlungen bekannt zu werden, die den Gegenstand
der Entscheidung bilden. Das trifft nicht bloß für Straf-
urteile und Ehescheidungen, sondern ebenso, obschon in
geringerer Zahl, für sonstige Urteile der Zivilgerichte zu.
Namentlich betreffen auch gerade Entscheidungen über
Markenrecht und Wettbewerb oft Handlungen, die, wenn
nicht strafbar, so doch jedenfalls kaufmännisch mehr oder
weniger unehrenhaft sind. Was die Strafurteile betrifft,
so wird von dem Verurteilten nicht selten das öffentliche
Bekanntwerden seiner Bestrafung schwerer empfunden,
als die Strafe. Mit ihm wird von der Verbreitung seiner
Bestrafung in der Oeffentlichkeit meist auch seine Fa-
milie auf das schwerste getroffen. Es herrscht allgemeiner
Unwille über die Frivolität eines Teils der Presse, der
lediglich im pekuniären Interesse seine Spalten, um sich
einen großen Leserkreis zu verschaffen oder zu erhalten,
mit sensationellen Nachrichten über Strafverhandlungen und
Strafurteile füllt und in diesen die Namen und Familien-
verhältnisse der Bestraften ohne Rücksicht auf das große
Unglück aufführt, in das er dadurch den Verurteilten und
seine Familie für das ganze Leben stürzen kann. Die
Gesetzgebung ist gegenwärtig bemüht, das Bekanntwerden
und dauernde Anhaften der Bestrafung möglichst zu ver-
hüten, sofern die öffentliche Bekanntmachung nicht bei
Beleidigungen und Verleumdungen von dem Beleidigten
zur Herstellung seiner Ehre verlangt wird. Vor allem will
der Vorentwurf zum StrGB., m. E. mit Recht, selbst die
öffentliche oder schriftliche Verbreitung wahrer ehren-
rühriger Tatsachen bestrafen, wenn sie lediglich Verhält-
nisse des Privatlebens betreffen, die das öffentliche Inter-
esse nicht berühren. Auch soll, soweit angängig, in der
Hauptverhandlung die Befragung des Angeklagten und der
Zeugen nach erlittenen Strafen unterbleiben oder unter Aus-
schluß der Oeffentlichkeit geschehen. Endlich beabsichtigt
man, dem Bestraften bei mehrjähriger guter Führung eine
Rehabilitation durch Löschung der Strafe im Strafregister
zu gewähren. Wenn der Strafrichter auf diese Weise zur
Schonung des Bestraften selbst da von Feststellung der
Vorstrafen absehen muß, wo diese an sich zu dessen Ueber-
führung und zur Bemessung der neuen Strafe gegen ihn von
Bedeutung wäre, so dürfte es gewiß gerechtfertigt sein,
bei den lediglich zu juristischen Studien bestimmten Urteils-
sammlungen ein Bekanntwerden und dauerndes Gedächtnis
der Bestrafung oder auch nur der unehrenhaften Handlung
eines Prozeßbeteiligten dadurch zu verhindern, daß in den
Sammlungen die Namen der Angeklagten und Parteien
überhaupt nicht aufgeführt werden.
Es ist ein Zeichen höherer Kultur, wenn die Epidermis
unseres Ehrgefühls immer empfindlicher wird. Und als ein
Fortschritt der Kultur muß es erst recht anerkannt werden,
daß wir auch empfindlicher für die Verletzung der Ehre
sind, die ein anderer, insbesondere ein Bestrafter durch
das öffentliche Bekanntmachen seiner Bestrafung, erleidet.
Wir kl. Geh. Rat Dr. Hamm, Bonn.
Wessen bedarf die Jugendgerichtshilfe? Schon
die Plenarberatung zum Ges. über das Verfahren gegen
Jugendliche im Reichstag ließ erkennen, daß die Mei-
nungen über Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit des Aus-
baues des Jugendgerichts Verfahrens geteilte sind. Einzel-
heiten werden hier lebhaft befürwortet, dort energisch
bekämpft. Fast ist zu fürchten, daß bei dem Kampf
der Parteien das Kind selbst verloren geht. Denn über
die Notwendigkeit besonderer Gerichte, der Durchbrechung
des Legalitätsprinzips, der Strafmündigkeitsgrenze, derBeseiti-
gung der Oeffentlichkeit, des Strafersatzes, der Erziehungs-
maßregeln, der Einführung der Rehabilitation, der Auswahl
der Schöffen usw. ist niemals volle Einhelligkeit zu erzielen.
Da soll darauf hingewiesen werden, wessen die
Jugendgerichtshilfe vor allem benötigt, um wirksam ein-
greifen zu können. Die Erkenntnis dieser Wünsche stützt
sich auf langjährige Leitung des Jugendschutzes, wie er
seitens des Verbandes für Jugendhilfe in Dresden und seiner
62 ihm angeschlossenen Vereine auch im eigentlichen
Jugendgerichts verfahren praktisch geübt wird.
1. Der Jugendgerichtshelfer muß im Strafver-
fahren die Rechte eines Beistandes erhalten. Er
muß dem Gerichtsverfahren durch Gesetzesvorschrift ein-
gefügt werden, nicht bloß an Stelle, sondern neben dem
gesetzlichen Vertreter und Verteidiger. Der Jugend-
gerichtshelfer muß derart rechtzeitig bestellt und über den
Sachstand unterrichtet werden, daß er eigene Ermittelungen
vornehmen und eigene Informationen erlangen und geben
kann. Er muß das Recht und die Pflicht der Akteneinsicht
und des Gehörs in der Hauptverhandlung erlangen. Er
muß die Möglichkeit haben, Rechtsmittel selbständig ein-
zulegen. Nur auf Grund derartiger gesetzlich garantierter
Selbständigkeit kann er wirksam in das Verfahren ein-
greifen und sich auch gegen den Willen derjenigen sach-
gemäß betätigen, die ihm in falscher Wertung der In-
stitution hemmend entgegentreten. Es sind das oft die
Angehörigen des Jugendlichen und dieser selbst.