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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 4.
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lieh nur über die Auslegung des Briefwechsels be-
steht. Die Erlassung des Beweisbeschlusses, die Inan-
spruchnahme des ersuchten Richters, die Notwendig-
keit einer zweiten Verhandlung und einer zwei-
maligen Vorbereitung des Vorsitzenden und des
Berichterstatters und schließlich der Zeitverlust von
vermutlich etwa zwei Monaten waren unnötig.
Ein weiteres Beispiel: Der Kläger behauptet,
der Beklagte sei in schlechter Vermögenslage und
nicht kreditwürdig. Dies werde A, der die Verhält-
nisse genau kenne, bekunden. Hier wird dem Ge-
richt zugemutet, in vielleicht stundenlanger Arbeit
aus dem Zeugen herauszufragen, was er über die
Vermögens- und FamiJienverhältnisse, die Lebens-
gewohnheiten, die geschäftlichen Beziehungen des
Beklagten weiß, und sich nachher darüber schlüssig
zu machen, ob es in den so ermittelten Umständen
eine Gefährdung der Sicherheit sieht. In Wahrheit
ist es Sache der Partei, Tatsachen zu behaupten und
unter Beweis zu stellen, die die schlechte Vermögens-
lage ergeben. Nur dadurch wird auch der Beklagte
in den Stand gesetzt, alsbald substantiierte Gegen-
erklärungen abzugeben und unter Beweis zu stellen,
so daß beide Beweisaufnahmen in einem Termine er-
ledigt werden können, während bei dem oben ge-
schilderten Verfahren,der Beklagte erst die Ergeb-
nisse der Beweisaufnahme angreifen kann, was eine
Prozeßverzögerung um viele Monate bedeutet.
Im springenden Punkte genau so liegt der Fall,
daß ein Zeuge dafür benannt wird, daß der Kläger
für den Neubau des Beklagten „12 Fenster zu wenig“
abgeliefert hat. Hier muß vor der Beweisaufnahme
klargestellt werden, worüber die Parteien streiten,
ob über die Zahl der abgelieferten Fenster oder die
Zahl der abzuliefernden.
Hierher gehört auch noch die Bezugnahme aut
Akten, die in der Praxis eine große Rolle spielt.
So wurde beispielsweise in einem Streite über ein
Pfandrecht geltend gemacht, der Gegner habe gemäß
§ 153 KO. darauf verzichtet, Beweis: die Konkurs-
akten. Wie sich im Laufe des Prozesses ergab,
hatte ein ausdrücklicher Verzicht nicht stattgefunden,
wohl aber konnten eine ganze Reihe von Schrift-
stücken, die sich bei den Konkursakten befanden,
als Verzicht ausgelegt werden. Hier wurde durch
den Beweisantritt vom Gericht verlangt, die mehr-
bändigen Konkursakten durchzusehen, und zwar
nicht etwa nur daraufhin, ob ein einzelnes Schrift-
stück darin wäre, welches einen ausdrücklichen Ver-
zicht enthielt, sondern auch daraufhin, ob die Akten
irgendwelche sonstigen Tatsachen enthielten, welche
im Zusammenhänge mit einem oder mehreren solchen
Schriftstücken für einen Verzicht sprächen; selbst-
verständlich hätte das Gericht, wenn es sich darauf
einlassen wollte, ebenso umgekehrt die Akten darauf-
hin prüfen müssen, ob nicht Vorgänge darin ent-
halten seien, die die gegenteilige Auffassuog be-
gründen, eine Aufgabe, die lür den Berichterstatter
und den Vorsitzenden, wenn sie überhaupt ausführ-
bar ist, eine Arbeit von mehreren Stunden bedeutet,
während es die Partei einige Minuten Zeit kostet, zu
sagen, aus welchen konkreten Vorgängen sie den
Verzicht folgert, und so zugleich den Gegner in die
Lage zu versetzen, auf gegenteilige Vorgänge hin-
zuweisen.
Alle besprochenen Fälle leiden an einem und
demselben grundsätzlichen Fehler des Prozeßbetriebes:
Es ist Sache der Partei, die Behauptungen aufzu-
stellen, und Aufgabe des Richters, die Beweise über
streitige Behauptungen zu erheben, nicht aber, durch
Beweisaufnahmen die Unterlagen für die Behaup-
tungen der Parteien zu schaffen. An dieser Wahrheit
zweifelt in der Theorie niemand; in der Praxis wird
sie leider oft nicht beachtet. Der Grund dafür liegt zu-
nächst in einer gewissen Bequemlichkeit der Parteien.
Die Schuld liegt aber auch zum Teil am Gericht; der
Richter soll und darf sich nicht auf derartige Be-
weisaufnahmen einlassen. Warum es doch viele
Gerichte immer wieder tun, ist schwer zu sagen.
Ich glaube, daß, abgesehen von einer gewissen
Unklarheit über diese Frage, die zweifellos an
manchen Stellen besteht, vielfach ein mißverstandenes
und auf falschem Felde betätigtes Pflichtgefühl, die
Annahme eines in Wirklichkeit nicht bestehenden
nobile officium mitspricht. Man hält es vielfach für
eine Ehrenpflicht des Richters, den Parteien in dieser
.Weise zu helfen. Eine solche Pflicht besteht meiner
Ueberzeugung nach nicht. Es ist Ehrenpflicht des
Richters, auch über seine unmittelbare Pflicht hin-
aus der Förderung des Prozesses seine Arbeitskraft
zu widmen da, wo es nötig ist, und wo es die
Partei nicht kann, und auf diesem Felde gibt gerade
unsere ZPO. dem, dem es ernst damit ist, reichlich
Gelegenheit zur Betätigung. Es kann aber unmög-
lich Aufgabe des Richters sein, durch seine Arbeit
der Bequemlichkeit der Parteien Vorschub zu leisten
und Arbeiten zu erledigen, die der Partei oder ihrem
Vertreter obliegen, und die diese mindestens ebenso
gut als er leisten kann oder sogar besser — denn
das Auge der Partei sieht bei der Sammlung des
ihr günstigen Prozeßstoffes schärfer als das des
Richters. Die durch Vermeidung solcher Beweis-
aufnahmen ersparte Zeit würde anderen Sachen
zugute kommen. Es würden, wenn solche überflüssi-
gen Arbeiten wegfielen, mehr Sachen auf einen Ver-
handlungs- oder Beweisterminstag aogesetzt und
dadurch schneller gefördert werden können, während
die Erfüllung der angeblichen Pflicht die sorgfältig
arbeitende Partei zugunsten der weniger sorgfältigen
schädigt. Geht man in dieser Hinsicht energisch zu
Werke, so kann man einen erheblichen Teil überflüssi-
ger Beweisaufnahmen sparen. Nötig ist nur, daß das
Gericht von seinem Fragerecht ausgiebigen und er-
schöpfenden Gebrauch macht und von den Parteien
verlangt, daß sie auf die Fragen substantiierte Er-
klärungen abgeben. Oft wird es allerdings nötig
sein, deswegen eine mündliche Verhandlung zu ver-
tagen, aber selbst die für diese spezielle Sache da-
durch eintretende Verschleppung ist nur eine schein-
bare, denn vielfach wird dadurch eine Beweis-
aufnahme erspart, die doch ebenfalls erst in einem
späteren Termine hätte stattfinden können. Es ist