10.1.5.
Verhandlungsmaxime und Beweisaufnahme
(LR. Dr. Riedinger)
267
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 4
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folgen verlangt. Die gemischte Schenkung soll teil-
weise nach Kauf-, teilweise nach Schenkungsregeln
behandelt werden. Es soll z. B. bei Mangelhaftigkeit
der Sache zwar Wandlung, nicht aber Minderung
eintreten; andererseits sollen aus dem Schenkungs-
recht z. B. die Normen über den Widerruf wegen
groben Undankes zur Anwendung kommen usw.
In dieser neueren Auffassung, die einer Kom-
bination der Rechtsfolgen das Wort redet, liegt
zweifellos ein großer Fortschritt. Befriedigen aber
kann sie doch nicht; denn sie mißt höchst ver-
schiedene Dinge mit gleichem Maß. Zwischen zwei
gemischten Schenkungen kann ein ganz gewaltiger
Unterschied in dem Verhältnis bestehen, in dem sich
bei ihnen Entgeltlichkeit und Unentgeltlichkeit ver-
mischen. Ein Geschäft kann zu 3/4 unentgeltlich
und nur zu 1/4 entgeltlich sein; es wird also der
Schenkung nahe stehen. Ebenso gut kann es aber
umgekehrt nur zu V4 unentgeltlich und dafür zu 3/4
entgeltlich sein, es wird also etwa dem Kaufe nahe
stehen. Diese beiden Geschäfte, obgleich sie beide
gemischte Schenkungen sind, kann man doch un-
möglich ganz gleich behandeln. Das größere oder
geringere Maß von Unentgeltlichkeit wird doch schon
für die Frage von Bedeutung sein müssen, für welchen
Grad von Fahrlässigkeit eingestanden werden muß.
Wenn bei voller Entgeltlichkeit schon für leichte,
bei voller Unentgeltlichkeit nur für grobe Fahr-
lässigkeit gehaftet wird, sollte da nicht bei halber
Entgeltlichkeit für mittelschwere Fahrlässigkeit ein-
gestanden werden müssen usw.? Beim Kaufe wird
für Sachmängel ohne jede Rücksicht auf etwaiges
Verschulden schon dann gehaftet, wenn der Mangel
nicht ganz unerheblich ist, bei der Schenkung da-
gegen grundsätzlich nur im Verschuldensfalle, selbst
wenn der allererheblichste Mangel vorliegt. Wird
man nicht einfach folgern können, daß bei einem
gemischt entgeltlichen Geschäfte die Erheblichkeit
des Mangels in genau demselben Grade wie die
Unentgeltlichkeit wachsen muß, um überhaupt eine
Mängelgewähr auszulösen? Die Schenkung kann
bei grobem Undank widerrufen werden, das voll-
entgeltliche Geschäft selbst bei der denkbar schwersten
Verfehlung nicht. Wird nicht bei einem gemischten
Geschäfte mit wachsender Entgeltlichkeit ein immer
größeres Maß von Undank erforderlich sein, um das
Widerrufsrecht zu begründen?
Die Vermischungen der Entgeltlichkeitstatbestände
weisen zahllose Abstufungen auf.1) Nur eine sich
ähnlich abstufende Normenkombination kann eine
angemessene rechtliche Beurteilung dieser sich ab-
stufenden T*tbestandsverbindungen liefern. So führt
die Grundform der Verträge mit vermischter Ent-
geltlichkeit auf das neue Prinzip der abgestuften
rechtlichen Beurteilung. Mit diesem wird aber dem
Richter nicht etwa eine Aufgabe gestellt, die ihm
sonst nirgends obliegen würde (vgl. z. B. § 254.)
Andere als diese fünf grundlegenden Arten der
Kombination von gesetzlichen Tatbeständen gibt es
*) Besonders diese Auffassung wird von Schreiber (204f.)
bekämpft; auch Oertmann lehnt sie ab.
nicht; die gemischten Verträge gliedern sich daher
in diese fünf % Grundformen. Selbstverständlich
können sich im praktischen Einzelfalle die Grund-
formen wieder miteinander kombinieren. Neue
Probleme entstehen aber dadurch nicht.
Wenn den Kombinationen einzelner gesetzlicher
Tatbestandsstücke Kombinationen der ihnen zuge-
hörigen Rechtsfolgen entsprechen sollen, so muß
zunächst gefragt werden: welche Rechtsfolge gehört
denn diesem einzelnen Tatbestandsteile zu? Im
Gesetze haben wir nur Konglomerate vonTatbestands-
elementen, denen Konglomerate von Rechtsfolgen
entsprechen. Dieses Gewirr muß zunächst entwirrt
werden. Es müssen die gesetzlichen Tatbestands-
komplexe zerlegt, die dabei gefundenen Elemente
in eine systematische Ordnung gebracht und so
gewissermaßen Tatbestandsalphabete des speziellen
Obligationenrechtes geschaffen werden. Gelingt es
dann, zu diesen Tatbestandselementen aus dem
Normenkonglomerat die gerade ihnen zugehörigen
Rechtsfolgen zu finden, so wird dadurch eine außer-
ordentliche Bereicherung unseres Schuldrechtes ge-
schaffen. Darin liegt die Bedeutung, die dem Problem
der gemischten Verträge für das gesamte Obligationen-
recht und weit über den Kreis der Rechtsfragen, die
in ihm selbst beschlossen sind, hinaus zukommt.
Verhandlungsmaxirae und Beweis-
aufnahme.1)
Von Landrichter Dr. Riedinger, Beuthen.
Die lange Dauer der Zivilprozesse hat mancherlei
Ursachen, und viele davon sind in den letzten Jahren
ausgiebig erörtert worden. Zweck dieser Zeilen ist,
die Augen der Praxis auf einen Mißbrauch zu lenken-
der eine Mitursache ist und, wenn er auch im Ver-
gleiche zu ihren übrigen Ursachen von verhältnis-
mäßig geringer Bedeutung sein mag, zu ihrer Ver-
schärfung beiträgt. Empfunden habe ich persönlich
ihn als Beisitzer verschiedener Zivilkammern großer,
stark belasteter Landgerichte; er beruht aber offenbar
nicht auf besonderen persönlichen oder örtlichen
Verhältnissen, sondern scheint weit verbreitet zu sein.
Jeder Richter wird sich zahlreicher Fälle er-
innern, die etwa nachfolgendem Schema verlaufen:
Zwischen den Parteien herrscht Streit über den
Inhalt eines Vertrages. Beide berufen sich auf das
Zeugnis des A, welcher als Vertreter des Beklagten
den Vertrag mit dem Kläger abgeschlossen hat.
A erklärt im Beweistermin vor dem ersuchten Richter,
er habe den Kläger niemals persönlich gesprochen,
sondern nur schriftlich mit ihm verhandelt und legt
eine Anzahl von Briefen vor, die er vom 'Kläger
erhalten hat, sowie Abschriften seiner eigenen an
jenen gerichteten Briefe. Vor dem Prozeßgericht
ergibt sich, daß Streit zwischen den Parteien eigent-
!) Zur Vermeidung von Mißverständnissen (vgl. Jur. Wochen-
schr. 1902, S. 623): Die nachstehenden Ausführungen sollen nicht dem
„Bequemlichkeitsbedürfnisse“ des Richters dienen, sondern wollen
dazu helfen, überflüssige und nutzlose Arbeit zu vermeiden, um Raum
für die Beschleunigung notwendiger zu schaffen.