Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

9.6.8. Ist der Postfiskus, wenn der Adressat von ihm ein Postschließfach gemietet hat, dafür haftbar, daß Postanweisungen in das richtige Fach eingelegt worden sind?

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 3.

Stammkapital zu gründen und das weiter erforderliche
Betriebskapital durch Kommanditeinlagen zu beschaffen;
es ist auch auf die Möglichkeit hingewiesen worden, daß
zwei A.-G. oder G. m. b. H., welche sich fusionieren, dies
jetzt in derForm einer offenen Handelsgesellschaft tun können
und hierdurch die erheblichen Gründungskosten ersparen.
Mag man immer die erhobenen Einwände für unzutreffend
halten und die Zulässigkeit einer mit dem Geschäfts-
betrieb der A.-G. oder G.m.b.H, zusammenhängenden oder
daraus sich ergebenden Verbindung mit anderen Personen in
der Form einer offenen Handels- oder Kommanditgesellschaft
bejahen, so kann es doch unmöglich der Wille des Ge-
setzgebers gewesen sein, daß Gesellschaften dieser Art
errichtet werden, um durch gleichzeitige Kombination mit
einer offenen Handels- oder Kommanditgesellschaft dem
anerkannten Grundsatz*), daß eine doppelte Firmierung
nicht zulässig ist, zuwiderzuhandeln; wenn dies un-
beanstandet bliebe, so würde die Folge sein, daß die
A.-G. oder G. m. b. H. von vornherein einen eigenen
Geschäftsbetrieb nicht aufnimmt, daß ihr gesamtes Grund-
oder Stammkapital sofort in die offene Handels- oder Kom-
manditgesellschaft eingelegt und ihr ganzer Organismus
nur zu dem Zwecke aufgestellt wird, um die Fiktion einer
Persönlichkeit zu erbringen, die für sich ein wirtschaft-
liches Leben nicht führen soll.
Ist es richtig, was im bayerischen Landtag behauptet
wurde, daß in der kurzen Zeit von Febr. bis Okt. 1912
allein in München 80, darunter sehr potente G. m. b.
H. behufs Minderung der Steuer die Entscheidung be-
nutzt haben, so würde bei Fortgang dieser Bewegung
sicher der wirtschaftliche Grundgedanke des Gesetzes, daß
sich die Gesellschafter zum Zwecke des Betriebs
des Unternehmens in der G. m. b. H. vereinigen,
vereitelt werden. Die vom Bayerischen Obersten Landes-
gericht für zulässig erklärte Verbindung dahin, daß der
Betrieb außerhalb der brach liegenden G. m. b. H. statt-
findet, erscheint m. E. daher nicht bloß im Steuerinteresse,
sondern nach den fundamentalen Prinzipien des Gesetzes
bedenklich, und es wäre zu wünschen, daß eine Entscheidung
des Reichsgerichts bald die notwendige Klarheit schafft.
Justizrat Dr. Liebmann, Frankfurt a. M.

Ist der Postfiskus, wenn der Adressat von ihm
ein Postschließfach gemietet hat, dafür haftbar,
daß Postanweisungen in das richtige Fach ein-
gelegt worden sind? Kläger hatte bei dem Postamt
in H. mittels Postanweisung an den Agenten B. in C.
200 M. abgesandt. Der Betrag war jedoch nicht dem
Adressaten, sondern einem unbekannten Dritten ausgezahlt
worden. Der Agent B. hatte am 1. Nov. 1893 der Post-
anstalt C. gegenüber eine sog. Abholungserklärung, die sich
auch auf Postanweisungen erstreckte, abgegeben und im
Nov. 1908 auf Grund dieser Erklärung ein Postschließfach
gemietet, in das für ihn eingegangene Sendungen regel-
mäßig gelegt wurden.
Dem Anträge auf Zahlung der 200 M. ist vom LG.,
nachdem die erste Instanz die Klage ab ge wiesen hatte,
stattgegeben worden, da Beklagter einen Beweis dafür, daß
die Postanweisung in das Schließfach des Adressaten ge-
langt war, nicht angetreten hat.
Die Entscheidung ist m. E. zutreffend, obwohl sie un-
billig erscheinen köante, weil es dem Beklagten bei der
großen Zahl der täglich in die verschiedenen Fächer zu
verteilenden Postsendungen unmöglich sein wird, den
Beweis dafür zu erbringen, daß gerade diese Post-
anweisung in das richtige Fach gelangt ist.
0 KG. bei Johow 14 S. 3t, Rechtspr. d. OLG. 19 S. 297.

Nach § 48 Postgesetzes v. 28. Okt. 1871 und § 42
I und II Postordnung, Fassung v. 8. April 1901, ist die
Post, wenn der Adressat einen Mietvertrag über ein Post-
schließfach abgeschlossen hat, für die richtige „Bestellung“
nicht verantwortlich, da dieser Mietvertrag, der stets die
Abgabe einer Abholungserklärung voraussetzt, nicht als
„besonderes Abkommen“ i. S. des § 48 Satz 2 PG. auf-
zufassen ist.1)
Der Beklagte meint nun, da eine „Bestellung“ i. S. des
§ 36 PO. v. 20. März 1900 an den Adressaten in diesem
Falle nicht erfolge, sei unter „Bestellung“ das Hinein-
tragen der Sendung in das Schließfach zu verstehen; er
folgert daraus, daß er dafür, abgesehen von dem Falle,
daß ihn ein vom Kläger zu beweisendes Verschulden treffe,
nicht hafte. Der Beklagte verkennt jedoch, daß PG. und
PO. von der „Bestellung“ einer Postsendung die „Aus-
händigung“ unterscheidet.2) Unter „Bestellung“ im § 48 PG.
ist die Abtragung der Postsendungen in die Wohnung zu
verstehen;3) ebenso lautet die Definition im § 36 PO. Im
§ 42 PO. wird, nachdem inzwischen in den Betrieb der
Post die Vermietung von Schließfächern aufgenommen ist,
die „Aushändigung“ ausdrücklich als Uebergabe am Post-
schalter oder bei Ueberlassung eines Schließfaches als
Einlegen in dieses Fach definiert.
Daß der Begriff der „Aushändigung“ im § 49 PG.
sich von dem der „Bestellung“ im § 48 PG. wesentlich
unterscheidet, ergibt der Wortlaut der Paragraphen, ferner
§ 42 VI PO. (VIII der Fassung von 1901), da trotz einer
vom Empfänger abgegebenen Erklärung in bestimmten
Fällen eine Aushändigung nicht erfolgen darf, vielmehr
eine Bestellung stattzufinden hat; ebenso der Wortlaut des
§ 48 PG. Denn Satz 2 würde nur eine Wiederholung des
im Satz 1 Gesagten darstellen, wenn die Aushändigung
der Bestellung gleichzusetzen wäre. Dieser Ansicht steht
auch nicht entgegen, daß, wie der Postfiskus meint, der
Satz 1 des § 48 etwas Selbstverständliches sage, wenn man
unter „Bestellung“ das „ins Haus senden“ verstehe; denn
es könne ihm unmöglich zugemutet werden, für etwas zu
haften, was er gar nicht besorge. Dem ist entgegenzu-
halten, daß, gerade weil die Post für diese Bestellung, die
sie gewöhnlich selbst auszuführen pflegt, sonst an sich
haftet, der Ausschluß der Haftbarkeit noch besonders vom
Gesetz ausgesprochen werden mußte.4)
Es ergibt sich somit, daß nach § 48 PG. die Post beim
Bestehen eines Schließfach Vertrages nicht für die Ueber-
mittlung von Postanweisungen von der Post in die Wohnung
des Adressaten, wohl aber für die Aushändigung, d. h. für
das Einlegen der Anweisung in das richtige Fach haftet.
Ueber die Beweislast gibt weder § 48 PG. noch eine
andere Bestimmung des PG. oder der PO. eine Vor-
schrift. Somit kommen die allgemeinen Vorschriften zur
Anwendung. Danach hat, wenn der Kläger behauptet, daß
die Postanweisung nach § 6 PG. ordnungsmäßig eingezahlt,
aber nicht in die Hände des Adressaten gelangt ist, der Be-
klagte die Erfüllung zu beweisen, oder, wenn er, was richtiger
sein dürfte, sich auf die Unmöglichkeit der Erfüllung beruft,
nach § 282 BGB. darzutun, daß die Leistung ohne sein Ver-
schulden unmöglich geworden ist. Mit anderen Worten,
den Postfiskus trifft die Beweislast, daß die Postanweisung
in das Schließfach des Adressaten eingelegt worden ist.
Gerichtsassessor Dr. Hecht, Kassel.

1) Vgl. RGE. Bd. 63. S. 339 ff.
2) Ebenso Urt. d. LG. Oppeln in der Postzeitnng 1905, S. 452.
3) Vgl. Stengr. Bericht des Reichstages, 1. LegPer., 1. Sess.,
1871, Pd. I, L. 689.
4) Ders. Ansicht: dis Urt. des LG. Oppeln; Dambach,
Kommentar PG., 6. Anfl., Anm. 1 zu § 48; Müller, Verträge der
Post, Leipzig 1908.

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