Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

9.3. Justizstatistik

9.3.1. Deutsche Zivilprozeßstatistik für 1911

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juris t.en-Zeitung. 1913 Nr. 3.

218

Kammer am 22. Dez. 1912 angenommene Gesetz
gibt dem Hotelier das Recht, auf sein in ein ihm
nicht gehörendes Hotelgebäude eingebrachtes
Mobiliar Schuldverschreibungen auszugeben. Das
Vorzugsrecht des Hauseigentümers steht hinter ihnen
zurück. Die Eintragung in ein beim Handelsgerichte
geführtes Register ist vorgeschrieben. Der Haus-
eigentümer muß benachrichtigt werden. Der Warrant
ist als indossables Handelspapier gedacht. Ob
wirklich in dem Hotelbetrieb ein ideeller Wert über
die Taxe des Inventars hinaus steckt? Ob sich die
Interessen der Eigentümer wirklich zurückdrängen
lassen? Ob diese Warrants auch Geldgeber finden,
die sie beleihen? Diese und ähnliche Fragen kann
nur die Erfahrung beantworten.
Das Reichsgericht hat einen Notar, der
zugleich der Berater der einen verkaufenden Partei
war, zum Schadensersätze an den Käufer verurteilt,
weil dieser eine vom Verkäufer behauptete Eigen-
schaft des Grundstücks bestätigte, obwohl
er die Verhältnisse desselben nicht kannte.
Auf seine Kenntnis von der Unrichtigkeit seiner
Angabe kam es nicht an. Der nach § 826 erforder-
liche Vorsatz liegt schon vor, wenn er das Bewußt-
sein hatte, daß durch seine Handlung ein Schaden
entstehen könne. Das Urteil mag vielleicht für den
konkreten Fall das Richtige treffen. Aber wohin
führt dieser zivilrechtliche dolus eventualis?
Eine rheinische Strafkammer sprach einen
Notar frei, der von 1907 bis 1911 in 130 Fällen
Stempelgelder unterschlagen hatte. Drei Sach-
verständige erklärten ihn infolge langjährigen Alkohol-
mißbrauchs für unzurechnungsfähig. Was wird
nun aus den Rechtsakten, bei denen der strafrecht-
lich handlungsunfähige Notar mitwirkte? Man wird
wohl versuchen, eine Wiederholung und Bestätigung
herbeizuführen. Sollte nicht aber dieser Fall das
RG. zu einer Revision seiner Meinung von der
Heilung formell ungültiger Gründungsakte der Aktien-
gesellschaften und G. m. b. H. durch Eintragung zum
Handelsregister veranlassen? oder sollten wirklich
die Aktionäre eines schönen Tages auf wachen und
ihre Aktiengesellschaft als nichtig gelöscht werden,
weil der Notar ein Alkoholiker war?
In einem Patentprozesse vor dem Reichsgericht
wurde der technische Vorgang der Erfindung kine-
matographisch vorgeführt. Die Fabrikations-
methode wurde in allen Einzelheiten gezeigt. Ob
die Partei nicht auch ohne diese Vorführung ihren
Prozeß gewonnen hätte, bleibe dahingestellt. Es ist
jedenfalls interessant zu beobachten, wie die Er-
rungenschaften der modernen Technik immer mehr
in die Gerichtssäle wandern.
Rechtsanwalt|Dr. Hachenburg, Mannheim.

Justizstatistik.
Berichterstatter: Obeilandesgerichtspräsident
[Lindenberg, Posen.
Deutsche Zivilprozeßstatistik für 1911. Die
im vierten Vierteljahrsheft zur Statistik des Deutschen
Reichs enthaltenen Hauptzahlen der deutschen Justizstatistik
für 1911 zeigen deutlich die Einwirkung der am 1. April
1910 in Kraft getretenen Gerichtsverfassungsgesetznovelle
auf die zivilprozessuale Tätigkeit der Gerichte. Im Jahre
1910 hatten, was die neu eingegangenen Sachen anlangt,
erst neun Monate unter dem Einflüsse der Erhöhung der

amtsgerichtlichen Zuständigkeitsgrenze gestanden, und in
der Erledigung der Sachen war die Novelle wegen der
großen Zahl der aus der Zeit vor dem 1. April 1910
stammenden Sachen noch weit weniger zu spüren. Das
Jahr 1911 dagegen wurde bei dem Eingänge neuer Sachen
ganz und bei der Erledigung der Sachen durch Urteil be-
reits zum weitaus größten Teil von der Novelle beherrscht.
So ist es gekommen, daß im großen und ganzen die Zahl
der anhängig gewordenen ebenso wie die der durch kontra-
diktorisches Urteil entschiedenen Sachen bei den Land-
gerichten weiter zurückgegangen, bei den Amtsgerichten
dagegen gestiegen ist, wobei sich allerdings im einzelnen
gewisse Modifikationen ergeben.
Die Zahl der ordentlichen Prozesse, die an-
hängig geworden sind, betrug bei den Amtsgerichten
2 477 310 gegen 2 422 865 i. J. 1910 und 2 301 901 i. J.
1909. Während also im Jahre 1910 eine Zunahme um
120 964 oder 5,3% stattgefunden hatte, hat das Jahr 1911
nur ein Anwachsen um 54 445 oder 2,2% ergeben. Diese
Abschwächung der Steigerungsziffer ist zweifellos darauf
zurückzuführen, daß sich das durch die Novelle re-
organisierte Mahnverfahren immer mehr als praktisch be-
währt und deshalb in immer ausgiebigerem Maße zur An-
wendung gelangt. Es sind im Jahre 1911 bei den Amts-
gerichten 2 659 982 Mahnsachen anhängig geworden
gegen 2 316 696 i. J. 1910, 2 136 594 i. J. 1909 und
2 174 050 i. J. 1901. Die Zahl der Mahnsachen, die in
den drei Jahrzehnten bis 1909 zwar vielfach geschwankt,
aber sich im allgemeinen nicht vermehrt hatte, stieg schon
im Jahre 1910 unter dem Einfluß der am 1. April in Kraft
getretenen Novelle um rund 180 000 und hat jetzt im
Jahre 1911 eine weitere, sehr erhebliche Zunahme um
343 286 oder 14,8% erfahren, so daß man mit vollem
Recht behaupten kann, daß die Umwandlung des Mahn-
verfahrens einem Bedürfnisse entgegengekommen ist.
Die bei den Landgerichten anhängig gewordenen
ordentlichen Zivilprozesse hatten im Jahre 1908 ihr
Maximum mit 308 448 erreicht. Nachdem schon das Jahr
1909 einen kleinen Rückgang auf 302 179 gehabt hatte,
ergab das Jahr 1910 ein Herabsinken auf 218 173, also
um 84 006 oder 27,8%. Im Jahre 1911 ist nun eine
weitere Abnahme auf 194 835, also um 23 338 oder 10,7%,
erfolgt. Dieser Prozentsatz ist um ein Geringes größer,
als man nach der Abnahme von 1910 voraussehen konnte.
Wir möchten glauben, daß die Zahl von 1911 einen Tief-
stand bedeutet und daß von 1912 ab wieder eine Zu-
nahme erfolgen wird. Faßt man die land- und amts-
gerichtlichen Zivilprozesse zusammen, so betrug
die Zahl 2 672 145 gegen 2 641 038 im Vorjahr, so daß
eine Zunahme um 31 107 stattgefunden hat, d. 1. 1,18%
gegen 1,42% i. J. 1910. Die Zunahme war also nur ein
wenig geringer als im voraufgegangenen Jahre.
Die Zahl der landgerichtlichen Wechsel-
prozesse, die im Jahre 1910 ganz enorm, nämlich von
85 384 auf 49 076, also um 36 308 oder 42,5 % gesunken
war, hat sich im Jahre 1911 weiter auf 41271, also um
7805 oder 15,9% vermindert. Die Abnahme erstreckt
sich auf alle Oberlandesgerichtsbezirke außer München,
wo die Wechselprozesse von 1333 auf 1596 gestiegen
sind. Der Kammergerichtsbezirk hatte einen Rückgang
von 14 689 auf 13 237, also um 1452 oder 9,9%. Bei
den Amtsgerichten ist die Zahl der Wechselprozesse
von 307106 auf 316 090, also um 8984 gestiegen, so daß
im Gegensatz zum Jahre 1910, wo der Rückgang der land-
gerichtlichen durch die Steigerung der amtsgerichtlichen
Wechselprozesse bei weitem nicht ausgeglichen worden
war, sich jetzt die Gesamtzahl der land- und amtsgericht-
lichen Wechselprozesse von 356 182 auf 357 361 erhöht

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