Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 58 (1914))

Semeka, Ptolemäisches Prozeßrecht.

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sache von demselben Kläger sowohl bei dem Beamtenrichter wie auch
vor den autonomen Gerichten der Chrematisten und Laokriten geklagt
* werden, ein ganz eigentümliches Prozeßwahlrecht, das wohl in der weisen
politischen Absicht geduldet wurde, die Jurisdiktion der staatlichen Gerichte
allmählich in den Vordergrund zu rücken. Soweit ich sehe, sind die
Quellen daraufhin, ob und mit welchem Erfolge das letztere Ziel durch
königliche Verordnungen erstrebt worden ist, noch nicht genügend durch-
forscht worden. Doch hat Vers, auch diese Frage behandelt, insbe-
sondere das Recht des Strategen, den autonomen Gerichten Anweisungen
zu geben, erörtert und die Vermutung begründet, daß der Stratege als
Strafrichter wohl von der Konkurrenz der ordentlichen Gerichte frei war
(13 Note 1—3, 60, 61, 68, 69, 163).
Die Jurisdiktionsgebiete der ordentlichen Beamtenrichter (des
Strategen und seines Organs, des Dorfepistaten) und der autonomen
Gerichte hat Vers, in sehr anschaulicher Weise geschildert (35 ff.).
Bemerkenswert ist die Feststellung, daß ähnlich wie nach deutschem Rechte
dem ptolemäischen Richter das Recht zustand, das Urteil aus der Gerichts-
gemeinde heraus zu befragen (xat a'XXiov ttXsiovouv).
Unter den Laiengerichten begegnen wir Kollegialgerichten zweifacher
Art, den Chrematisten, vom Könige ernannten Richtern, die doch
Privatleute waren und in dem süsorfurfsus einen Gerichtsvorstand hatten,
und den Laokriten (einer anscheinend älteren Einrichtung rein ägyptischen
Ursprunges von konservativ-nationalem Charakter), die im Gegensätze zu
den Chrematisten die Rechtsprechung nach einheimischem Rechte ausgeübt
haben (12, 118 Note 2, 145 ff.). Diese Kollegialgerichte waren neben-
einander tätig und gleichberechtigt. Ihnen zur Seite steht das xoivöv
otxaaT^piov, das ebenso wie die Chrematisten Recht für Parteien ver-
schiedener Nationalität sprach, aber ebenso wie das Laokritengericht all-
mählich durch das Chrematistengericht zurückgedrängt wurde (151, 152).
3. Ein weiterer allgemeiner Zug des ptolemäischen Gerichtsver-
fahrens ist die, mit der ständigen Aufsicht in engem Zusammenhänge
stehende, Ubergabefunktion, die in zwei Formen erscheint, von oben nach
unten, vom Könige bis zum niedrigsten Beamten, und von unten nach
oben, vom niedrigsten Beamten bis zu den Kollegialgerichten und dem
Könige selbst. Sie erfolgt entweder zwecks Durchführung eines sum-
marischen Verfahrens oder zur Einleitung eines Vollverfahrens (187 ff.).
Im zweiten Teile seines Buches behandelt Vers, die Partei-
und Prozeßfähigkeit, die allgemeinen Grundsätze des Verfahrens, die
Einleitung und die Klage. Der hier behandelte Stoff beweist eine hohe
Entwickelung der prozessualen Einrichtungen. Eine prozeßrechtliche
Scheidung zwischen Ausländern und Inländern bestand nicht. Die
Prozeßfähigkeit der Frauen war grundsätzlich anerkannt, Prozeßvertretung
aller Art zulässig. Es galt der Grundsatz des Parteibetriebs. Verf.
führt dies, und darin liegt ein beachtenswerter Gedanke, darauf zurück,
daß überhaupt in jeder Rechtswelt Selbstschutz im weitesten Sinne nicht
nur im täglichen Leben erlaubt und geduldet war, sondern auch das
positive Recht vom Verletzten gewiffe Selbstschutzhandlungen sogar verlangte.
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