Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 60 (1916))

Am Wendepunkt des Rechts.

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sätze und Arbeitsmethoden auch im Rechte zu praktischeren und
brauchbareren Ergebnissen führen.
Nun darf man sich aber die Entstehung solcher Grundsätze
nicht als die Verkündung einer neuen Heilsbotschaft vorstellen; vom
Standpunkte einer selbsttätigen Entwicklung des Vorganges handelt
es sich vielmehr nur um ein Erkennen dessen, was sich mit der
Erweiterung und Erforschung der Erfahrungswelt von selbst voll-
zieht. Dann aber kann Aufklärung auch bei dem Recht selber
gesucht werden, nur daß wir nicht wie bisher von den Grundsätzen
zu den Erscheinungen, sondern umgekehrt von diesen zu den Grund-
sätzen aufsteigen müssen, m. a. W. in dem Untersuchungsgange muß
sich ein ähnlicher Umschwung der Methode vollziehen, wie er sich vor
Jahrhunderten in der naturwissenschaftlichen Renaissance vollzog,
als man sich entschloß, die überkommenen Grundsätze an den
erfahrungsmäßigen Vorgängen selber nachzuprüfen. Ähnlich wie
damals werden wir dann auch die den Übergang kennzeichnenden
Versuche entdecken, das, was sich gar nicht mehr wegleugnen läßt,
auf die künstlichste Weise mit jenen Grundsätzen in Einklang zu bringen,
wie es beispielsweise die Chemiker machten, als sie die Gewichts-
zunahme des Verdrennungsproduktes festgestellt hatten und nunmehr,
um nur ja die alte Verbrennungslehre zu retten, zu den Stoffen
mit negativer Schwere griffen. Der wahre Fortschritt liegt dann
in der Erkenntnis der Unhaltbarkeit eines solchen Verfahrens und
damit in der Einsicht, daß wir mit allen diesen Bemühungen uns
grundsätzlich bereits auf einen anderen Boden gestellt haben.
Im Sinne der klassischen Jurisprudenz ist das Gesetz eine
Zwangsvorschrift, der Ausspruch eines willensfreien Gesetzgebers,
durch den das Verhalten der Rechtsgenossen zu einander und zu
der Gesamtheit in bestimmter Weise geregelt wird. Folge-
richtig hatte der Richter, der das Gesetz verstehen wollte, sich
rückläufig in die Zeit und auf den Standpunkt des Gesetzgebers
zurückzuversetzen und dessen Gedankengang in sich zu wiederholen.
Im einzelnen kam es in erster Linie auf den Wortlaut an. Der
Gesetzgeber sprach aber nicht wie ein Durchschnittsmann seiner Zeit,
sondern wie ein geschulter Philologe, dem selbst die ursprünglichen
Bedeutungen der Worte und Wortstämme gegenwärtig waren.
Wenn also in einem Gesetze von „Unterschrift" die Rede war, so
bedeutete das, daß der Namenszug „unter" dem Texte stehen
müsse (RG. 36, 243) und wenn nach § 259 StGB, die
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