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Sprachenfrage.
der überwachende Polizeiabgeordnete nur berechtigt sein soll, in
öffentlichen Versammlungen den Gebrauch der deutschen Sprache zu
verlangen, oder es kann absolut für öffentliche Versammlungen,
d. h. für solche, in welchen öffentliche Angelegenheiten erörtert
werden, der Gebrauch nur der deutschen Sprache angeordnet werden.
Im letzteren Sinne hat neuerdings der Hauptvorstand des Deutschen
Ostmarkenvereins eine Petition an das preußische Staatsministerium
gerichtet. In der Tat dürfte dieser letzte Weg, insofern es sich um
Versammlungen von preußischen Staatsangehörigen oder von Reichs-
angehörigen handelt, der empfehlenswerteste sein. Er begegnet mit
scharfem Mefferschnitt allen polnischen Machinationen, die bei der
Wahl des ersten Weges unter der Konnivenz nachgiebiger Polizei-
organe hier und da vielleicht fortwuchern könnten.
Es liegt nun zwar am nächsten, die Sprachenrechtsnovelle sich
als eine das Vereinsgesetz vom 11. März 1850 ergänzende zu
denken. Aber angesichts der Tatsache, daß fast alle politischen, im
Landtage vertretenen Parteien noch ihre Spezialwünsche hinsichtlich
einer Änderung des Gesetzes vom II. März 1850 hegen, und daß
durch die unausbleibliche Geltendmachung der letzteren bei Einbrin-
gung einer Vereinsgesetznovelle die Sprachenfrage eine rasche gesetz-
geberische Erledigung nicht finden würde, erscheint dieser vaoäu8
xroeöätznäi nicht ratsam. Am praktikabelsten wäre vielmehr ein
Gesetzentwurf, welcher in Erweiterung des im preußischen
Geschäftssprachengesetze vom 28. August 1876 für den ge-
samten Umfang der Monarchie anerkannten Rechtsgrund-
satzes der deutschen Staatssprache auch für alle zur Erörte-
rung öffentlicher Angelegenheiten einberufenen Versammlungen von
preußischen Staatsangehörigen oder von Reichsangehörigen den ab-
soluten Gebrauch des Deutschen anordnete. Zwar hat man sich
gegen ein derartiges Vorgehen seinerzeit bei Gelegenheit der parla-
mentarischen Behandlung des Gesetzes vom 28. August 1876 erklärt
(Hubrich, Sprachenfreiheit S. 29) — doch nur in unzureichender
Würdigung des Wesens der Staatssprache. Der Inhalt des
Rechtsbegriffs der Staatssprache ist durchaus variabel, und es ist
der positiven Rechtsordnung eines Staates, welcher sich eine Staats-
sprache aneignet, wohl gestattet, den Geltungsumfang des Rechts-
begriffs der Staatssprache auch auf Gebiete auszudehnen, welche
vom streng begrifflichen Standpunkt aus nicht in den Bereich einer
Staatssprache fallen.