Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 40 = 5.F. Jg. 5 (1896))

66 » Zurücknahme der Baugenehmigung nach Beginn des Baues.
dessen, was an dem Baue noch fehlt, als die Errichtung eines Ge-
bäudes betrachtet werden könne; denn damit würden die Arbeiten, die
ein zusammengehöriges Ganzes bilden, in unstatthafter Weise zerlegt
und es werde ein Theil von ihnen, der doch zur Errichtung des
Gebäudes unentbehrlich sei, für unwesentlich und bedeutungslos
erklärt.
Bei dieser Divergenz der beiden höchsten Gerichtshöfe in einer
für das praktische Leben so wichtigen Frage lohnt es sich wohl, der
Sache etwas näher zu treten.
Der erste Grund, welchen das Oberverwaltungsgericht angiebt,
erscheint nicht recht durchgreifend. Es handelt sich, darüber besteht
kein Zweifel, um eine Anwendung des Satzes, daß Veränderungen
des objektiven Rechts in bereits bestehende Verhältnisse der Regel
nach nicht eingreifen sollen. Die Frage ist nur, was hier unter be-
stehenden Verhältnissen zu verstehen ist. Das Reichsgericht will nur
den vollendeten, das Oberverwaltungsgericht auch den in der Aus-
führung begriffenen Bau darunter rechnen. Das Eine ist so gut
möglich, wie das Andere, und mit dem Satze, daß neue Vorschriften
auf bereits bestehende Verhältnisse nicht angewendet werden sollen,
wird daher nichts entschieden. Man könnte freilich auch zu Gunsten
der vom Reichsgericht vertretenen Meinung an die allgemeine Rechts-
regel denken, daß neue Gesetze auf Rechte, die erst in der Entstehung
begriffen sind, zur Anwendung kommen müssen, und daß nur der-
jenige Rechtserwerb hiergegen gesichert ist, der sich als ein bereits
vollendeter zur Zeit des Inkrafttretens der neuen Vorschriften dar-
stellt. 7) Zndeß mit Unrecht; denn um einen Rechtserwerb handelt es
stch hier überhaupt nicht; ein Bau ist ein thatsächlicher Vorgang,
uicht ein Thatbestand, der auf Rechtserwerb abzielt, auf ihn dürfen
daher nicht Sätze angewendet werden, die einen Rechtserwerb be-
treffen.
Bedeutsamer ist der zweite Grund des oberverwaltungsgerichtlichen
Urtheils. Er ist aus der Erwägung entnommen, daß die Zurück-
nahme eines Baukonsenses nach bereits begonnenem Bau auf kaum
zu lösende Schwierigkeiten stoßen würde. Man muß, um die Trag-
weite dieser Erwägung zu ermessen, sich nur vergegenwärtigen, in
wie weitem Umfange den Polizeibehörden trotz der eingehenden Vor-
schriften unserer Baupolizeiordnungen noch immer ein freies Ermessen

7) Förster-Eccius, Preuß. Privatrecht, Bd. 1 § 42.

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