Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 40 = 5.F. Jg. 5 (1896))

Gierke, Das Bürgerliche Gesetzbuch und der Deutsche Reichstag. 673
ersten Ehe auch dann belasten zu sollen, wenn die zweite Ehe auf
Grund der ZA 1316—1320 mit Erfolg angefochten wird. Dies ist in
§ 1333 Abs. 2 Satz 1 des Kommissions-Entwurfes bestimmt. Das
Ergebniß einer unbefangenen Betrachtung des Kommissions - Entwurfes
ist hiernach:
Hat sich der Ehegatte des für lobt Erklärten wiederverheirathet, so
tritt die Auflösung der ersten Ehe nicht ein, wenn die zweite Ehe
nichtig ist oder auf Grund des § 1335 (1333 der R.T.V.) ange-
fochten und für nichtig erklärt wird. Die Anfechtung der zweiten
Ehe wegen eines der in den §§ 1316—1320 (1314—1318 der
R.T.V.) bezeichneten Gründe ändert nichts an der durch die Wieder-
verheirathung bewirkten Auflösung der ersten Ehe.
Die G.'sche Kritik und Entdeckung beruhen hiernach auf einem Mangel
an Sorgfalt bei der Lektüre des Entwurfes, insbesondere auf der Nicht-
beachtung des im § 1315 enthaltenen, im § 1333 Abs. 2 dagegen
fehlenden Zitates des § 1335.
Der Bundesrath hat übrigens für angemessener erachtet, auch dann,
wenn die zweite Ehe aus einem der Gründe der KZ 1316—1320 (1314
bis 1318 der R.T.V.) anfechtbar ist und angefochten wird, die Regel
des § 1328 (1326 der R.T.V) eintreten, also auch in diesen Fällen
die erste Ehe fortbestehen zu lassen.
Endlich weist G. darauf hin, daß zahlreiche Vorschriften des Han-
delsgesetzbuchs in den Entwurf übernommen sind, und fällt als Ergebniß
eines Vergleichs der Fassungen des Entwurfes mit den Fassungen des
Handelsgesetzbuchs folgendes Uriheil:
Der klare und gemeinverständliche Ausdruck des Handelsgesetzbuchs ist
ins Abstrakte und Formelhafte gewandt und hat, was er an tech-
nischer Genauigkeit gewonnen haben mag, an Anschaulichkeit verloren.
Ob zugleich eine sachliche Aenderung und welche beabsichtigt ist, läßt
sich nicht ohne einen beträchtlichen Aufwand von Scharfsinn entdecken.
Zumal in manchen Fällen der Grund der Aenderung wenig einleuchtet
und nur aus dem doktrinären Zusammenhangs des neuen Rechtes
verstanden werden kann.
Dreierlei also wird dem Entwürfe zum Vorwurfe gemacht:
1. er soll Ungenauigkeiten in der Fassung des H.G.B. berichtigt
haben, auch wenn durch die Berichtigung „die Anschaulichkeit der
Sprache" beeinträchtigt wurde;
2. er soll Aenderungen an den Vorschriften des H.G.B. vorgenommen
haben, ohne mühelos erkennbar zu machen, ob die Aenderung eine
sachliche oder redaktionelle ist; '
3. es soll „in manchen Fällen" der erkemlbare Grund der Aenderung
wenig Beifall verdienen.
Darauf ist Folgendes zu erwidern:
Darüber, wie ein weiser Gesetzgeber verfahren soll, wenn sich im
einzelnen Falle Anschaulichkeit und Genauigkeit in der Fassung einer
Vorschrift nicht vereinigen lasten, ob er der genauen, aber nicht an-
schaulichen, oder der anschaulichen, aber nicht genauen Faffung den Vorzug
Beiträge, XL. (V. F. V.) Zahrg. 4. u. 6. Heft. 43

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer