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Literatur
des Werks, wie sie in seinem besonderen Theil zu Tage liegen, werden
Studirende und angehende Praktiker auch ferner zu Freunden werben:
Die Grundanschauungen, wie sie im allgemeinen Theile niedergelegt
sind, werden fortfahren, den gesunden Idealismus zu untergraben, den
die studirende Jugend in den Hörsaal mitbringt.
Der Verfasser sieht mit überlegenem Blick auf diejenigen herab, die
das Strafrecht noch immer aus der Sittlichkeit ableiten und auf den
Freiheitsbegriff „auf dem schwankenden Grunde metaphysischer Spekulation"
aufbauen: Sie alle, meint er, gehen zwar von der vergeltenden Gerechtig-
keit aus, gestatten aber, nachdem sie „dieser hergebrachten Forderung"
Genüge geleistet, den Rücksichten der Zweckmäßigkeit einen mehr oder
minder großen Spielraum, . . . doch der Anrufung der „überlieferten
Gerechtigkeit" bedarf es nicht, ... die Strafe gehört nicht der Sittlich-
keit an, ... der Zweckgedanke ist die rechtserzeugende Kraft, nur im
Jnteressenschutz hat die Strafe ihren Rechtsgrund, . . . Schuld ist Ver-
antwortlichkeit für den durch willkürliche Körperbewegung verursachten
Erfolg, . . . Verantwortlichkeit beruht nicht auf Willensfreiheit,
sondern lediglich auf der Bestimmbarkeit des Willens durch Motive .. .
der menschliche Wille ist unbedingt unfrei."
Was der junge Jurist an Kenntniß des geltenden Strafrechts in
die Praxis hinüberbringt, hat wenig zu bedeuten gegenüber dem, was
er nun erst lernen und verstehen soll; — was ihm an allgemeinen
Anschauungen und Grundbegriffen übermittelt iit, davon wird er sein
Leben hindurch weiterzehren, wenn nicht ein seltener Forschungstrieb ihn
zur Revision des Ueberlieferten führt. Und eben darum kann der Nutzen,
den ein Lehrbuch wie das vorliegende bringt, nicht die Verwirrung auf-
wiegen, die sein theoretischer Theil in jungen Köpfen anrichtet. Denn
nichts imponirt dem unreifen Urtheil mehr und nichts verleitet den Spazier-
gänger an den Grenzen der Wissenschaft leichter zur gedankenlosen Nach-
folge als ein sicheres Spiel mit Schlagworten, eine hieb- und stichfeste
Dialektik und ein unbeirrtes Vorwärtsschreiten von Satz zu Satz, mögen
auch Abgründe von Zweifeln zur Seite liegen. Von dieser Art ist der
einleitende Theil des Liszt'schen Lehrbuchs.
Ein karakteristisches Beispiel, wie der Verfasser mit den Problemen
umspringt, die seinen Weg kreuzen, bietet die Abfertigung, die er den
Jndeterministen ertheilt: „es ist methodisch verfehlt, wenn Jhermg,
Rümelin und Andre das Strafrecht auf dem transszendenten Freiheits-
begriff aufbauen wollen; das Strafrecht hat es, wie jede Wissenschaft,
nur mit dem empirischen Menschen zu thun und dieser ist unfrei, be-
stimmt durch Vorstellungen, mithin dem Kausalgesetz unterworfen;
in der neueren Philosophie haben namentlich Kant (den Binding gründ-
lich mißversteht) und Schopenhauer sich für die ausnahmslose Herrschaft
des Kausalgesetzes in der Welt der Erfahrung — und nur diese ist für
den Kriminalisten in Frage — ausgesprochen". Der unbefangene Leser
kann diese Bemerkungen nicht anders verstehen als daß der Verfasser
seine deterministische Anschauung an keinen Geringeren als Kant an-
lehnen will. Was aber soll man von einem Deterministen sagen, der