Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 37 = 5.F. Jg. 2 (1893))

Haftpflicht.

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werden, ob ihre Anwendung in derartigen Fällen von einer umsich-
tigen Bahnverwaltung gefordert werden könne, womit nach dem ge-
wöhnlichen Sprachgebrauchs eben auf das zur Vermeidung des Vor-
wurfes einer Verschuldung anzuwendende Maß von Diligenz hinge-
wiesen zu sein scheint. Allein es kann dahingestellt bleiben, ob in
der Thal nach All' dem der erste Revisionsangriff als gerechtfertigt
angesehen werden müßte; denn jedenfalls ist der zweite Vorwurf be-
gründet. Es unterliegt keinem Zweifel, daß höhere Gewalt nicht
bloß in einem durch Naturkräfte, sondern auch in einem durch Hand-
lungen von Menschen herbeigeführten Ereignisse, so auch unter
Umständen in einem wie eine Naturgewalt wirkenden Andrängen
einer Menschenmenge bestehen kann. Von diesem Gesichtspunkte
aus hat der zweite Civilsenat des Reichsgerichtes in dem von dem
Berufungsgerichte zitirten Falle (Kop. II. Nr. 30/1888), wo während
der Heidelberger Universitätsfeierlichkeiten an einem bestimmten Tage
eine ungewöhnlich große Menschenmenge auf dem Mannheimer
Bahnhof versammelt war, um nach Heidelberg zu fahren, und eine
Frau von der auf einen einfahrenden Zug blind losstürzenden Menge
unter den Zug geworfen worden war, den Einwand der höheren
Gewalt für begründet gehalten. Allein damals handelte es sich um
ein außergewöhnliches Vorkommniß, welches einmal ein gewaltiges
Zusammenströmen von Menschen auf dem Mannheimer Bahnhof
herbeiführte; sodann wurde festgestellt, daß die Verwaltung nicht bloß
die äußersten Vorsichtsmaßregeln angewendet hatte, um ein geordnetes
Einsteigen zu ermöglichen, und daß diese Maßregeln objektiv als zur
Verhütung von Unglücksfällen zweckmäßige und den Erfolg verbür-
gende Anordnungen zu beurtheilen seien, sondern auch, daß das An-
stürmen des Publikums, wie es statthatte, als ein über jede Voraus-
sicht gehendes Ereigniß aufzufaffen sei. Die Entscheidung des zweiten
Civilsenats beruhte also auf einer Würdigung der besonderen Um-
stände des damals zur Entscheidung gestandenen Falles, welche von
denjenigen des vorliegenden Falles ganz verschieden lagen. Das
Cannstatter Volksfest ist nicht ein besonderes außergewöhnliches Vor-
kommniß ; es wiederholt sich vielmehr alle Zähre, jedenfalls alle zwei
Jahre, und jedesmal spielen sich, was aus den Angaben des Zeugen
K. und der hiermit übereinstimmenden Feststellung in dem ange-
fochtenen Urtheile erhellt, dieselben Szenen auf dem Cannstatter
Bahnhof ab, wie sie am 29. September 1889 stattfanden, d. h. es
drängt sich im Cannstatter Bahnhof auf dem Bahnsteige eine nach

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