Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 37 = 5.F. Jg. 2 (1893))

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Einzelne Rechtsfälle.

lenen Urtheile bei dem Volksfeste im Jahre 1889 zur Bewältigung
des Verkehrs von der Bahnhofverwaltung in Cannstatt, ohne daß
für diesen Fall besondere Instruktionen der Generaldirektion der
Staatseisenbahnen beständen, dieselben Maßregeln angewendet worden
sind, wie seither an den Volksfesttagen, d. h. es wurden, um das
Gedränge zurückzuhalten, auf dem Perron eine größere Zahl von
Bediensteten, welche der Bahnhofverwaltung außerordentlicher Weise
von der Generaldirektion in diesen Tagen zugewiesen zu werden
pflegen, aufgestellt. An dem Tage, als dem Kläger der fragliche
Unfall zustieß, waren auf dem Perron 38 Mann aufgestellt, auf die
Länge desselben von etwa 140 Meter vertheilt. Das Berufungs-
gericht stellt weiter fest, daß seit der Zeit, da der Bahnhofverwalter
K. in Cannstatt ist, seit 1879, kein Unfall sich ereignet habe, und
daß auch nicht bekannt sei, daß früher ein Unfall sich ereignet hätte.
Das Berufungsgericht erachtet aber hiermit noch nicht als dargethan,
daß die Bahnverwaltung alle von ihr zu fordernden Vorsichtsmaß-
regeln getroffen habe, um das vorzeitige Herandrängen der auf dem
vom Geleise nicht abgesperrten Eisenbahnsteige versammelten großen
Menschenmenge gegen einen einfahrenden Zug und die hiermit für
den Einzelnen verbundene Gefahr, unter den noch im Gang befind-
lichen Zug gestoßen zu werden, zu verhüten. Im Gegentheil nimmt
das Berufungsgericht als erwiesen an, daß die erwähnten Vorsichts-
maßregeln nicht geeignet waren, dem Unfälle des Klägers vorzu-
beugen, sowie daß die Gefahr eines solchen Unfalls der Bahnverwal-
tung bekannt war. Indem das Berufungsgericht aber die ihm von
dem Kläger und den Sachverständigen an die Hand gegebenen wei-
teren Vorsichtsmaßregeln im Einzelnen prüft, gelangt es zu der An-
sicht, daß sie sämmtlich sich theils als ungangbar, theils als solche
erwiesen, welche zu betreten die Bahnverwaltung keinen Anlaß und
keine Verpflichtung gehabt habe. Andere Schutzmaßregeln, welche
seitens des Beklagten hätten getroffen werden können und sollen,
seien weder von den Sachverständigen noch vom Kläger bezeichnet
worden, auch sonst nicht ersichlich. Hiernach drängt sich allerdings
der Zweifel auf, ob das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung
den Unterschied zwischen Abwesenheit einer Verschuldung (Zufall)
und der höheren Gewalt klar erfaßt hat, um so mehr, als in den
Entscheidungsgründen des angefochtenen Uriheils einzelne jener Schutz-
maßregeln (in Uebereinstimmung mit der Fassung des Beweisbe-
schluffes vom 8. Januar 1892) von dem Gesichtspunkte aus geprüft

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