Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 37 = 5.F. Jg. 2 (1893))

Haftpflicht.

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drang der Menge getroffen gehabt habe. Das Gericht erster Instanz
hat unter Verwerfung letzterer Einrede auf dem vom Beklagten dem
Kläger bezüglich der Einwendung des eigenen Verschuldens zuge-
fchobenen Eid erkannt und für den Fall der Eidesleistung den Be-
klagten verurtheilt, dem Kläger die Summe von 2 911 M. nebst
5pCt. Zinsen daraus seit 2. April 1891 und außerdem eine in
vierteljährlichen Raten zu entrichtende jährliche Rente zu bezahlen.
Gegen dieses Uriheil haben beide Theile Berufung eingelegt. Das
Berufungsgericht hat Beweis erhoben sowohl bezüglich der Einrede
des eigenen Verschuldens der Klägers als darüber, ob der Beklagte
anläßlich des Cannstatter Volksfestes 1889 alle von einer umsichtigen
Bahnverwaltung zu fordernden Vorsichtsmaßregeln getroffen, welche
zur Verhinderung eines Unfalles, wie desjenigen, der dem Kläger
zugestoßen, geeignet erscheinen. Ueber die letztere Frage hat das
Berufungsgericht den Bahnhofverwalter K. in Cannstatt als Zeugen
sowie den bayerischen Generaldirektionsrath vr. W. und den badischen
Betriebsinspektor M. als Sachverständige vernommen. Das Be-
rnfungsgericht hat sodann den Kläger mit seiner Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht stellt zunächst fest, daß der Beweis der Ein-
rede des eigenen Verschuldens des Klägers nicht gelungen, die hierauf
bezügliche Behauptung des Beklagten vielmehr als widerlegt anzu-
sehen sei, erachtet aber die Einrede der höheren Gewalt als er-
wiesen.
Entscheidungs gründe:
Die Revision wirft dem angefochtenen Urtheile die Verletzung
des Begriffs der höheren Gewalt in doppelter Beziehung vor: das-
selbe beruhe nämlich augenscheinlich auf der rechtsirrthümlichen An-
sicht, daß höhere Gewalt schon dann anzunehmen sei, wenn der
Bahnverwaltung in Ansehung der Anwendung der gegen den
Menschenandrang auf dem Cannstatter Bahnhof erforderlichen Vor-
sichtsmaßregeln der Vorwurf einer Verschuldung nicht gemacht werden
könne; sodann aber, es sei an sich rechtsirrthümlich, in einem
Menschenandrang, welcher sich wie gelegentlich des Cannstatter Volks-
festes alle Jahre oder mindestens alle zwei Jahre regelmäßig auf
einem Bahnhofe zu wiederholen pflege, höhere Gewalt zu erblicken,
während es sich doch nur um ein regelmäßig wiederkehrendes mit
dem Eisenbahnbetrieb zusammenhängendes Ereigniß handle. In
ersterer Beziehung kommt in Betracht, daß nach den mit den An-
gaben des Zeugen K. übereinstimmenden Feststellungen im angefoch-

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