Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 37 = 5.F. Jg. 2 (1893))

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Einzelne Rechtsfälle.

unter einen in der Richtung von Untertürkheim her in den Cann-
statter Bahnhof einfahrenden Eisenbahnzug gerieth und dabei eine
schwere Beinverletzung erlitt. Mit der in erster Linie auf § 1 des
Reichshaftpflichtgesetzes, in zweiter Linie auf den durch die erfolgte
Lösung einer Fahrkarte nach Stuttgart mit der Eisenbahnverwaltung
geschlossenen Transportvertrag gestützten Klage verlangte er von dem
Beklagten, als Unternehmer der Eisenbahn, für die Zeit vom 30. Sep-
tember 1889 bis 31. März 1891 als Ersatz für Heilungskosten und
Entschädigung für Erwerbsfähigkeit die Summe von 4721 M. nebst
5 pCt. Prozeßzinsen (vom 2. April 1891 an), ferner als solche Ent-
schädigung die Bezahlung einer jährlichen Rente von 2100 M., be-
ginnend am 1. April 1891, zahlbar je am 1. April, 1. Juli, 1. Ok-
tober, 1. Januar, erstmals am 1. Juli 1891. Kläger schildert den
Vorgang, bei welchem er verunglückte, folgendermaßen: An dem ge-
nannnten Tage sei er, um nach Stuttgart zu fahren, auf dem Bahn-
steige des Bahnhofes Cannstatt gestanden. Ohne sich in die vorderste
Reihe zu drängen oder überhaupt irgendwie an dem Drängen oder
Schieben der auf dem Bahnsteige befindlichen Menschenmenge Theil
genommen zu haben, sei er ganz allmählich und ohne sein Zuthun
dadurch in die erste Reihe gekommen, daß die beiden vor dem Un-
fall abgefahrenen Züge die am weitesten vorn Stehenden mitge-
nommen haben. So habe er in der ersten Reihe auf den nächsten
Zug gewartet. In dem Augenblick nun, als dieser eingefahren sei,
haben die weiter hinten Stehenden vorgedrängt und dadurch plötzlich
mit unwiderstehlicher Gewalt die vorn Stehenden gegen den Zug
gestoßen. Auf diese Weise sei Kläger, ohne dem Druck Widerstand
leisten zu können, unter den noch im Gang befindlichen Zug ge-
worfen und von diesem noch mitgeschleift worden. Er macht geltend,
die Eisenbahnverwaltung hätte ein derartiges Gedränge in unmittel-
barer Nähe eines einfahrenden Zuges nicht dulden dürfen, sondern
die erforderlichen und auch möglichen Vorkehrungen gegen ein der-
artiges übermächtiges Andrängen des Publikums gegen die Eisen-
bahnzüge treffen müssen. — Beklagter macht gellend, Kläger habe
den ihm zugestoßenen Unfall selbst verschuldet, soferne er, obwohl
von einem Eisenbahnbediensteten gewarnt, in den noch im Gang be-
findlichen Zug einzusteigen versucht habe und hierbei zu Fall ge-
kommen sei; eventuell schützte Beklagter die Einrede der höheren Ge-
walt vor, weil die Eisenbahnverwaltung alle Vorsichtsmaßregeln,
welche ihr zugemuthet werden können, gegen den unvernünftigen An-

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