Internationales Privatrecht.
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Im § 3 (S. 18 ff.) behandelt Niemeyer die Frage, welchen Sinn
und welche Tragweite die Ersetzung der vollkommenen Kolli-
sionsnormen der Entwürfe durch die einseitigen Kolli-
sionsnormen der Artt. 14, 18, 19, 20, 22 und durch die unvoll-
ständig zweiseitigen der Artt. 13 Abs. 1, 15, 24—25 hat? Er hält
den Versuch der Erklärung aus dem Gesetze für erfolglos und stellt
fest, daß irgend welche zuverlässigen Nachrichten über den Inhalt der
im Bundesrathe gepflogenen Verhandlungen und über die Vorbereitung
dieser Verhandlungen innerhalb der Regierungsbehörden der Bundes-
staaten nicht bekannt sind. Obwohl er die Erkundung ministerieller
Arcana als Aufgabe der Gesetzesauslegung und als Basis der Ge-
setzesanwendung nicht anerkennt, glaubt er doch feststellen zu können,
daß nach den veröffentlichten Materialien Gründe der Diplomatie
maßgeblichen Einfluß bei der Vorbereitung des Gesetzes geübt haben.
Belegstellen für diese Feststellung werden leider nicht gegeben, und
es bleibt, da von mir auch sonst solche Stellen nicht in Erfahrung
gebracht sind, mir nur übrig, anzunehmen, daß die oben wieder-
gegebenen Gerüchte von der Thätigkeit des Bismarck'schen Blaustifts
für die Gesetzesauslegung benutzt werden sollen (vgl. auch Niemeyer
S. 27). Aber man kann wohl ohne Weiteres von der Thatsache,
daß das Auswärtige Amt pflichtgemäß sich an den Berathungen
beiheiligt hat, und daß auch Rücksichten der Diplomatie zur Geltung
gebracht worden sind, ausgehen; nach welcher Richtung diese Rück-
sichten sich bethätigt haben, bleibt indeß damit noch unaufgeklärt.
Niemeyer hält zwei Gesichtspunkte für möglich: die Politik der
Konnivenz dahin, daß man Konflikte mit dem Auslande vermeide,
indem man ausländischen Staatsintereffen nachgiebig begegne, oder
die Politik des wirksamen Druckes, welche darauf hinauslaufe, das
Jntereffe des Auslandes für den Abschluß von Staatsverträgen zu
schärfen, indem man das Ausland die Kollisionen fühlen laffe, welche
aus dem Mangel übereinstimmender Behandlung dieser Fragen sich
ergeben. Er kommt bezüglich beider Gesichtspunkte zu einem Non
liquet und ist der Ueberzeugung, daß die Fassung des Bundesraths
sich als ein Kompromiß zwischen der Jurisprudenz und der Diplo-
matie ergebe und daß diese diplomatische Opportunitätserwägungen
irgend welcher Art geltend gemacht haben dürfte. Für ausgeschlossen
hält er es, daß der Gesichtspunkt der „Kompetenzerwägung" maß-
gebend gewesen sein könne. Mit Kompetenzerwägung, wofür ich
den Namen Zuständigkeitserwägung oder Zuständigkeit--