Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 46 (1902))

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Rechtsmißbrauch.

läßt Beklagter das Mühleninventar des Klägers öffentlich versteigern;
Beklagter nimmt in die Versteigerungsbestimmungen die Klausel
auf: Die zugeschlagenen Stücke müffen spätestens innerhalb 24 Stunden
aus dem Grundstück entfernt werden, auch haften die Käufer für
etwaige Grundstücksbeschädigungen, die in Folge der Herausnahme der
Jnventarstücke entstehen. Thatsächlich ist nach Lage der Sache eine
Entfernung „binnen 24 Stunden" gar nicht ausführbar, daher
finden sich keine Bieter bei der Versteigerung ein, und Beklagter er-
wirbt die Gegenstände für einen geringen, dem wahren Werthe nicht
angemessenen Preis.33) Hier kann von Chikane nicht die Rede sein.
Der Beklagte verstößt vielmehr gegen diejenigen Pflichten, welche
ihm nach dem Inhalte des Vergleichs obliegen, inbesondere hat man
eine Pflichtverletzung aus dem Grunde zu bejahen, weil die Hand-
lungsweise sich mit den Grundsätzen über Treu und Glauben nicht
vereinigen läßt. Der zuletzt genannte Gesichtspunkt hat überhaupt
für die obligatorischen Rechtsverhältnisse bei Weitem mehr praktische
Bedeutung als das Rechtsmißbrauchsverbot, und manche Entscheidung,
die thatsächlich unter Berufung auf das letztere begründet wurde,
gehört in Wahrheit auf das Konto des ersteren. -- Ferner denke
man an folgenden Fall: Auf dem Grundstücke des Beklagten steht
eine Hypothek für den Kläger eingetragen, welche sofort fällig
werden soll, wenn die Zinsen nicht innerhalb der ersten drei Tage
eines jeden Vierteljahrs entrichtet werden. Thatsächlich haben die
Parteien bisher sich niemals an das Abkommen gehalten, sondern
die Zinsen sind aus Gründen, die Beklagter des Näheren im Pro-
zesse darlegt, fortgesetzt jedesmal um den 15. des ersten Quartals-
monats bezahlt. Gegenwärtig hat Kläger die drei ersten Quartalslage
abgewartet und klagt nunmehr — ohne dem Gegner vorher Mit-
theilung von seinem Vorhaben zu machen — die ganze Hypotheken-
summe nebst Zinsen ein. Der Beklagte bezahlt bis zum 15. die
fällig gewordenen Zinsen und beantragt Abweisung der Klage.
Diesem Anträge wird stattzugeben sein, und zwar wiederum, weil
das Verhalten des Klägers gegen Treu und Glauben verstößt.
Das Gleiche gilt von nachstehendem Rechtsstreite: Kläger war
Molkereiverwalter bei der Beklagten; in dem Engagementsvertrage
wird dem Kläger verboten, Lehrlinge zu halten. Beklagte duldet
aber das entgegengesetzte Verfahren von Anbeginn des Vertrags-
**) Das ist der Fall, welcher dem Prozeß in Gruchot's Beiträgen Bd. 35
S. 946 f. zu Grunde liegt. Dort wird ebenfalls mit „Treu und Glauben" operirt.

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