806 Die metaphysisch-naturwissenschaftliche Richtung in der Jurisprudenz.
gißt doch in Wahrheit die menschlichen Entschlüsse dabei nicht, sondern
setzt diesen konstanten Faktor voraus und erwägt nur die Umstände,
welche den Willen bestimmen. Wenn der Zurist die Rechtsgebilde
ebenso betrachtete, so hätte ich nichts gegen die Ausdrucksweise,
welche sie wie Naturerscheinungen darstellt. Dazu würde in erster
Linie gehören, daß er in allem Rechte einen konstanten Menschen-
willen, sowie ich es vorgeschlagen habe, erblickte, und zudem natürlich
die Darstellung der speziellen Auffassungen und Werthungen, welche
in specie so viel Verschiedenes wollen lasten. Von alledem ist aber
bei der modernen naturwissenschaftlichen Jurisprudenz nichts zu ent-
decken. Sie hat es wirklich überall mit objektiven Naturdingen
zu thun.
Simöon findet bei seiner Untersuchung des betagten Rechts-
geschäfts nicht etwa unterscheidbare Begriffsmomente, deren gegen-
seitiges Verhältniß angebbar ist, sondern „Substanztheile" (S. 119,
136), die „primär" heißen, obwohl sie sehr wohl weiterer Analyse
fähig und dringend bedürftig sind. Selbständige Existenz und Fort-
dauer wird ihnen nachgerühmt, der bloßen Haftung ante diem, das
ist der eine Substanztheil, und der klagbaren Haftung die veniente,
das ist der andere. Zm normalen Zustand sind sie gleichzeitig über-
einander liegend; bei der befristeten Obligation ist gewissermaßen
die obere Decke zu kurz und. läßt ein Stück von der zu Grund
liegenden „bloßen Haftung" sehen (S. 119). Allein wenn die klag-
bare Haftung eintritt, ist eben die Haftung nicht mehr „bloße",
sondern klagbare, die „bloße" dauert nicht fort. Ohne Haftung,
d. h. ohne dedere wäre freilich Klagbarkeit nicht vorhanden. Aber
deshalb kann doch von einer Fortdauer der „bloßen Haftung" als
einer selbständigen Existenz keine Rede sein. Die Vorstellung von
„Substanztheilen" stellt den eigentlichen Sachverhalt auf den Kopf.
Die ganze Existenz der Haftung besteht in dem vom objektiven
Rechtswillen bestätigten Inhalte des Parieiwillens, daß die Leistung
am dies resp. spätestens am dies stattfinde. Wenn nicht ein dies
veniens festgestellt wäre, würde auch ante diern keine Haftung
bestehen. Die beiden Momente des einen Willens, daß die Leistung
als am dies erfolgende schon vorher in irrevokabler Weise gewollt
und beschlossen ist, und daß sie am dies als sofort erfolgende ge-
wollt ist, und zwar vom objektiven Rechte, welches auf Antrag des
Gläubigers sein „du sollst" an den Schuldner richtet, gehören so
augenscheinlich zusammen, daß Niemand, der nicht etwa das auf