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Expropriation entzieht die Staatsgewalt im Interesse des öffentlichen
Wohles eine Sache allen privatrechtlichen Verhältnissen, welche in
Bezug aus dieselbe bestehen, und überweist sie frei von allen diesen Ver-
hältnissen dem Unternehmer des betreffenden, dem öffentlichen Wohle
dienenden Werkes, diesen Erwerber verpflichtet aber das Gesetz, die
hierdurch an ihrem Vermögen geschädigten Personen schadlos zu halten.
Nur in dem Verhältniß zu dem bisherigen Eigenthümer hat die
erzwungene Abtretung des Eigenthums gegen Entgelt Aehnlichkeit mit
dem Kaufgeschäft, in jeder andern Beziehung sind die Grundsätze des
Kaufvertrages unanwendbar. Es muß daher vielfach neben den Vor-
schriften des Allg. Landrechts über den Zwangsverkauf auf die allge-
meinen Bestimmungen zurückgegriffen werden, welche in den §§74
und 75 der Einleitung gegeben sind.
Die Schwierigkeiten, welche sich namentlich bei der Beurtheilung
des Entschädigungsanspruches eines Miethcrs wegen vorzeitiger Beendi-
gung des Miethsverhältnisscs durch Enteignung des Miethsobjekts er-
geben, sobald man ausschließlich die Vorschriften über den Zwangs-
verkauf im Titel 11 in das Auge faßt, sind in dem durch das Er-
kenntniß des Königl. Ober-Tribunals vom 3. Mai 1872 definitiv
beendigten Rechtsstreite des Konditors Theodor Hegenberg wider die
Stadtgemeinde Berlin grell hervorgetreten, so daß die Mittheilung dieses
Falles von allgemeinerem Interesse sein wird.
Der Kläger hatte in dem zu Berlin in der Straße Unter den
Linden belegenen Hause, durch welches die Durchfahrt nach der Neuen
Wilhelmsstraße führte, ein nach beiden Straßen belegenes Lokal zum
Betriebe der Konditorei von dem Eigenthümer des Hauses, Rentier G.,
für die Zeit vom 1. Juli 1866 bis dahin 1869 gemiethet. Da in
diesem Lokale schon seit Jahrzehnten die Konditorei schwunghaft be-
trieben war, so hatte der Kläger ein während seiner langjährigen Ge-
hülfenzeit erspartes Kapital dazu angewendet, von seinem Vorgänger die
Einrichtungen und Vorräthe des Geschäfts zu erwerben, und durfte
erwarten, während der Miethsdauer einen erklecklichen Nutzen zu er-
zielen. Aber schon während des ersten Miethsjahres wurde die Stadt
Berlin landespolizeilich genöthigt, die Neue Wilhelmsstraße in ihrer
ganzen Breite bis an die Straße Unter den Linden freizulegen; sie
mußte deshalb das Expropriationsrecht hinsichtlich des G.'schen Hauses
nachsuchen, und dasselbe wurde ihr Allerhöchsten Orts ertheilt. Dem-
nächst wurde das Haus auf Antrag des Magistrats durch Resolut des
K. Polizei-Präsidiums zu Berlin expropriirt und der Stadt aufgegeben,
den durch Sachverständige ermittelten, in dem Resolute festgesetzten