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er aus dem ungeöffneten Fenster des untern Stockwerks den Himmel
erblicken könne. Beklagter Senff wendet ein, daß die durch jene Fenster
erhellten Räumlichkeiten noch von anderer Seite her Licht erhielten.
Allerdings empfangen diese Räume auch noch durch ein, in einem
Corridor befindliches Fenster (mittelbares) Licht, welches jedoch, da es
erst durch ein zweites Fenster in die Zimmer selbst fällt, vom Jn-
stanzenrichter als Zwielicht bezeichnet wird. Das Kreisgericht Halle
verurtheilt den Beklagten, den Neubau so weit zurückzurücken, daß
Kläger aus dem ungeöffneten Fenster des zweiten Stockwerks den
Himmel sehen könne. Das Appellationsgericht Naumburg erkennt be-
stätigend. Der § 143 Landrecht I. 8 unterscheide nicht zwischen mittel-
barem und unmittelbarem, zwischen einem mehr und minder starkem
Lichte, habe vielmehr nur überhaupt von anderer Seite kommendes Licht
zu seiner Voraussetzung, wovon der § 142 ebendas, den Gegensatz:
nur von der Seite des Nachbarn her kommendes Licht — also kein
Licht von der andern Seite, aufstelle.
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers hat das Königliche Ober-
Tribunal (II. Senat) in der Sitzung vom 24. Oktober 1871 das Ap-
pellationsgerichtserkenntniß vernichtet und das Erkenntniß des ersten
Richters dahin abgeändert, daß Beklagter schuldig, den Neubau seines
Hauses so weit zurückzurücken, daß Kläger aus dem ungeöffneten Fenster
des untern Stockwerks den Himmel sehen könne, aus folgenden Gründen:
Der Appellationsrichter hat die §§ 142, 143 des Allg. Landrechts
I. 8 verletzt. Nach den Bestimmungen des § 143 muß das Behältniß,
in welchem sich die seit zehn Jahren oder länger vorhandenen Fenster,
vor denen gebaut werden soll, befinden, noch von einer andern Seite
Licht haben. Das Ober-Tribunal hat nun bereits mehrfach angenommen
und nachgewiesen, daß das Gesetz dem Eigenthümer der Fenster nicht
etwa ein ungenügendes, sondern ein genügendes Licht hat sichern wollen
(Striethorst, Archiv Bd. 23 S. 142, Vd. 53 S. 215). Die An-
nahme des Appellationsrichters, daß das Gesetz zwischen einem mehr
oder minder starken Lichte keinen Unterschied mache, verstößt mithin
gegen das Gesetz und das zweite Erkenntniß war daher zu vernichten.
In der Sache selbst wird nach dem Anträge des Klägers erkannt.
Der Anspruch desselben erscheine gerechtfertigt, weil das dem Behältniß
des Klägers durch ein Fenster vom Hofe zugeführte Licht augenscheinlich
kein genügendes sei, da der Richter I. Instanz es als Zwielicht be-
zeichne. Der über die Stärke und Berechnung des Lichtes beantragten
Augenscheineinnahme bedürfe es danach nicht.