Full text: Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts (Jg. 25 = 3.F. Jg. 5 (1881))

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Vortrag über die Beweisaufnahme

des Berufungsbeklagten müßte man aber, um die ausschließliche
Geltung des vom Berufungskläger vorgetragenen und zwar in Be-
ziehung auf die Erklärungen des Berufungsbeklagten unvollständig
vorgetragenen Sachverhalts der ersten Instanz aufrecht zu erhalten,
einen Widerruf von Erklärungen seitens des Berufungsklägers kon-
struiren, die der Berufungsbeklagte in der ersten Anstanz abgegeben
hat. Und selbst für den Fall, daß beide Parteien verhandeln, ist
diese Annahme nicht aufrecht zu erhalten. Im § 524 heißt es:
„Für die Entscheidung des Revistonsgerichts sind die in dem an-
gefochtenen Urtheil gerichtlich festgestellten Thatsachen maßgebend/'
Hat hiernach der Revisionsrichter den Sachverhalt feiner Ent-
scheidung zu Grunde zu legen, wie er aus den Vorinstanzerl auf
ihn gekommen ist, so darf er auch einen erst in der Revisions-Instanz
ausgesprochenen Verzicht nicht mehr berücksichtigen.
Kann formt, um die ausschließliche Geltung des von den Par-
teien vorgetragenen Sachverhaltes der Vorinstanz zu begründerr, für
die Revisions-Instanz ein stillschweigender Verzicht auf das nicht
Vorgetragene rricht angenommen werden, so erweist sich eben das
Prinzip als unhaltbar, und darf die Annahme des Verzichts daher
auch nicht für die Berufungs-Jrrstanz aufrecht erhallen werden.
Sollte dem aber entgegengehalten werden, daß der ganze Grund-
satz von der ausschließlichen Geltung des von den Parteien vor-
getragenen Sachverhalts auf die Revisions-Instanz vermöge des § 524
C.P.O. überhaupt keine Anwendung finde, so müßte dem gegenüber
betont werden, daß, wenn der Vortrag des Sachverhalts der Vor-
instanz durch die Parteien im Uebrigen ganz ebenso behandelt würde,
wie die sonstigen Parteivorträge, dies auch für die Revisions-Instanz
gellen müßte.
Als Ergebniß der vorstehenden Erörterungen können wir daher
den Satz aufstellen, daß auch bei einer zwischen dem vorgetragenen und
dem festgestellten Sachverhalte der Vorinstanz obwaltenden Differenz
der Richter lediglich den letzteren seiner Entscheidung zu Grunde zu
legen hat.
Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, daß sogar der Regierungs-
Vertreter in der Justiz-Kommission des Deutschen Reichstags die
entgegengesetzte Ansicht ausgesprochen hat. Als nämlich gelegentlich
der Berathung des § 473 d. E. — § 494 d. G. — der Abgeordnete
Reichensperger die Meinung aussprach, daß der zweite Richter von

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