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Reyscher:
diugs seit Jahrhunderten kein Fall vorgekommen ist, wo die Tochter
aus einem reichsständischen Hause vor ihren Stammvettern in Land
und Leuten succedirt hätte, während sich manche Fälle Nachweisen
lassen, wo Töchter reichsadelicher Familien vor den Agnaten, ja ne-
ben Brüdern in freiadelichen Gütern und Flecken nachgefolgt sind 84).
Selbst Eichhorn in seiner Darstellung des heutigen Privatrechts,
(Einleitung in das deutsche Privatrecht 8. 349) beschränkt die An-
sicht, daß der Ausschluß der Töchter vom Stammgut schon aus
dem Familienherkommen oder Familiengesetzen, nach welchen die
Töchter zur Verzichtleistung verbunden sind, erhellen
könne, auf den hohen Adel. Auch bei diesem war aber der Um-
fang des Verzichts früher nicht überall gleich, indem oft nur auf
den Erbtheil des Vaters und der Mutter, bald auch auf brüderliche
und vetterliche Erbschaft verzichtet ward. In neuerer Zeit aber
wird in den meisten Häusern selbst auf die mütterliche Erbschaft kein
Verzicht mehr verlangt^). Das behauptete notorische Herkommen
kann daher nur auf die Ausschließung der Töchter von der Succession
in der landesherrlichen Negierung selbst und in den damit verbun-
denen Domänen und Rechten bezogen werden 86).
Eine gleich allgemeine Observanz für den Ausschluß der Töchter,
wie bei den reichsständischen Häusern, ist zwar auch bei den Fami-
lien der vormaligen Reichs ritt e rsch aft auf den Grund eines
ritterschastlichen Statuts von 1653 behauptet worden8^); wir wer-
den jedoch gleich nachher sehen (§. 4.), daß jene Observanz keines-
wegs erweisbar ist. Jedenfalls würde daraus nicht ein Herkommen
für Zurücksetzung der Weiber gegen den Mannsstamm überhaupt, son-
dern nur gegen die Brüder hervorgehen; der Vorzug der Stamm-
vettern bliebe daher immer noch zu beweisen übrig und dieser Vor-
zug kann aus dem Vorkommen weiblicher Erbverzichte um so we-
84) S. den kaiserlichen Lehenbrief für Marie Johanne von Werthnau
über den Blutbann zu Unterboihingen, Pfauhausen und Donzdorf
von 1685 bei Lünig corp. jur. feud. tom. 1. S. 1274—1278. In
der ersten Urkunde wird einer Belehnung von 1675 gedacht, worin
Schwestern und Brüder zugleich begriffen waren.
85) v. Neurath, über Regredient-Erbschaft S. 147. 148.
86) Moser a. a O. S. 86. Kreittmeyr, Anm. zum bair. Land-
recht Thl. III. cap. 11. §. 8. nro. 5.
87) Auch Reinhard a. a. O. S. 115 ist dieser Ansicht.