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Was ist unter "Werth des Streitgegenstands" im § 55 abs. 1 des Reichsgesetzes betr. die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 zu verstehen?
258 Zu Z 85 Abs. 1 des Reichsges. vom SS. Juli 1890. Streitwerih.
sönlichen Nachtheile von vornherein abgeschnitten und es kann dem Schuldner nicht
zugemuthet werden, sich jener Gefährdung seines Vermögens auszusetzen und (bzw.
oder auch nur) dieser Vortheile der Hinterlegung sich zu begeben, blos um zu
Gunsten des Gegners die geringfügigen Depositalkosten zu sparen.
Was ist unter „Werth des Streitgegenstands" int §55 Abs. 1 des
Reichsgesetzes betr. die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 zu verstehen?
L.G. Leipzig, Civ.-K. 2. Urtheil vom 12. Nov. 1894. v. G. II. 184/94.
Der Kläger hatte gegen seinen früheren Arbeitsherrn beim Gewerbegericht zu
L. auf Bezahlung eines Lohnrestes von 101 Mk. Klage erhobm. Das Gewerbe-
gericht verurtheilte den Beklagten zur Bezahlung von 20 Mk. und in ein Fünftel
der Kosten, während es im Uebrigen den Kläger unter Auferlegung der andem vier
Fünftel Kosten mit seinem Ansprüche abwies.
Gegen diese Entscheidung wurde vom Beklagten Berufung eingelegt. Das
Landgericht erklärte das Rechtsmittel für zulässig.
Aus den Gründen:
„Das Reichsgesetz betr. die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 § 55 Abs. 1
macht die Zulässigkeit der Berufung abhängig davon, daß der Werth des Streit-
gegenstands den Betrag von einhundert Mark übersteigt. Es ist kein Zweifel, daß
diese durch die Kommission des Reichstags bei der Berathung des Gesetzentwurfs
aufgenommene Beschränkung des Rechtsmittels vom Reichstage sowohl wie von dem
bei der Berathung betheiligten Bundesrathskommissar nicht im Sinne einer eigent-
lichen Berufungssumme gedacht wurde, daß vielmehr das Wort ^Streitgegen-
stand" im Gegensatz zum „Beschwerdegegenstand" das Prozeßobjekt erster Instanz
bezeichnen sollte. Das ergiebt sich insbesondere aus der zweiten Berathung im
Plenum des Reichstags vom 21.—23. Juni 1890. Der Abgeordnete Klemm hatte
beantragt (Nr. 72 der Drucksachen), die Worte „Werth des Streitgegenstands den
Betrag" zu ersetzen durch , die Worte „Gegenstand der Berufungsbeschwerden den
Werth von". Er war sich dabei (S. 490 sig. der Stmograph. Berichte 1890/91
Bd. I) vollkommen bewußt, nicht nur eine redaktionelle Aenderung vorzuschlagen.
Er betonte ausdrücklich, daß in den Rheingegmden bei den dortigen Gewerbege-
richten, deren Muster für den Antrag der Reichstagskommission bestimmmd gewesen
war, die Berufungssumme nicht nach dem Beschwerdegegenstande, sondern nach der
Höhe des Prozeßgegenstands überhaupt berechnet werde. Er erkannte darin dm
praktischen Werth der sofortigen, beim Beginn des Prozesses gegebenen Orientirung
der Parteien über die Zulässigkeit der höheren Instanz. Sein Antrag bezweckte,
wie der Abgeordnete hervorhob, „primo loco“ die Unklarheit darüber zu beseitigm,
in welchem Sinne das Wort „Streitgegenstand" gemeint sei. Der Regierungs-
kommisiar stellte darauf fest, daß man das Wort nicht im Sinne des Beschwerde-
gegenstands aufgefaßt habe, daß man sich dabei im Einklang mit der Terminologie
des Gesetzes befinde, daß auch überwiegmde Zweckmäßigkeitsgründe für solche Fest-
legung eines von vornherein klaren Kriteriums der appellabeln Sachm sprächen.
Damach definirte er den Ausdruck als „Werth des Streitgegenstandes erster In-
stanz". Obschon noch der Antragsteller der Kommission Dr. von CunY konstatirt
hatte, daß auch er das Wort „Streitgegmstand" in dem Sinne des Regierungs-
kommiffars aufgefaßt habe, unter dem ausdrücklichen Hinzufügm, daß vielleicht
theoretisch der Klemm'sche Antrag den Vorzug verdiene (S. 496), hob der Abge-