v. Sommerlatt, Ist der Entw. des dtsch. B.G.B.'s en bloc anzunehmen? 23
Rechts geradezu dem nationalen Empfinden direkt widerstreiten Würde. So kannte
das ältere deutsche Recht kein Pflichttheilsrecht; das deutsche Recht hatte es nicht
vermocht, aus eigener Kraft heraus befriedigende Vorschriften aufzustellen, die der
Testirfreiheit angemessene Schranken gesetzt hätten; erst die Reception des römischen
Rechts hat das Pflichttheilsrecht uns gebracht (vergl. Stobbe, deutsch. Privatr.,
Bd. 5 S. 236). Jetzt ist cs wohl auch jedem Laien ohne Weiteres selbstver-
ständlich, daß er bei Errichtung seines letzten Willens auf Kinder und Ehegatten
gewisse Rücksicht zu nehmen hat; von jeher hat sich in Deutschland die Auffassung
erhalten, daß es nicht von der willkürlichen Entscheidung des Erblassers abhängt,
wer sein Erbe sein soll, sondern daß das Erbrecht in erster Linie dazu bestimmt
ist, das Vermögen des Erblassers seiner Familie zu erhalten (vergl. Petersen,
in den Beiträgen z. Beurtheilung des Entwurfs v. Bekker u. Fischer, Heft 16,
S. 97). Sehr mit Recht hat also der Entwurf des deutschen Gesetzbuchs nicht
etwa, wie dies von vereinzelten Stimmen verlangt worden ist, das Princip der
absoluten Testirfreiheit aufgestellt, sondern im Princip das auf römischer Grund-
lage beruhende Pflichttheilsrecht beibehalten (vergl. Motive zum 1. Entwurf, Bd. 5
S. 7, 382). — Auch das Testament ist ein aus römischer Wurzel entsprossenes,
bei uns vollkommen eingebürgertes Rechtsinstitnt; es würde Jedermann geradezu
unverständlich erscheinen, wenn man dasselbe dem älteren deutschen Rechte zulieb
etwa ganz verbannen oder durch die alten Vergabungen von Todeswegen ersetzen
wollte. War es hiernach für den Gesetzgeber sogar ausgeschlossen, vom römischen
Rechte ganz abzusehen, so würde man dem Entwürfe in seiner jetzigen Gestalt
doch keine Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn man ihm eine einseitige Bevor-
zugung des fretnden Rechts, ein starres Festhalten an unfern Anschauungen
nicht entsprechenden Rechtsanfichten zum Vorwurfe machen wollte. Aus der Menge
seinerreindeutschrechtlichen Vorschriften seien beispielshalber nur folgende hervorgehoben:
Im Fordcrungsrechte befolgt der Entwurf selbstverständlicher Weise im
Gegensätze zu dem römischen Kontraktsystem den Grundsatz, daß regelmäßig der
übereinstimmende Wille der Betheiligten zur Begründung der Obligation genügt/)
wodurch selbstverständlicher Weise der Wissenschaft die Entscheidung der Frage über-
lassen bleibt, ob es etwa nach dem neuen Gesetzbuche noch besondere Konsensual-
oder Rcalvcrträge giebt. .
Im Einzelnen kennt er entgegen der römischen Lehre von der Unzulässigkeit
der Singularsuccession in eine Forderung das dem modernen Rechte zu Grunde
liegende Princip der Sondernachfolge in die aktive Seite der Obligation (§ 342)2)
*) So schon die Sachs. Erl. Prozeßordnung vom 10. Januar 1724 (Anhang, 8 f>): und
obwohl bis anhero dafür gehalten —, daß in documentis quarentigiatis die causa debendi
specialis exprimirt sei» müsse, so achten wir doch solches, da heutiges Tages auch jedes pactum
obligatorium ist, zu Erhaltung Treu und Glaubens, für unnöthig.
s) Hier und in der Folge sind im Text die Paragraphenzahlen der im Buchhandel be-
reits erschienenen zweiten Lesung angezogen. Es wird jedoch in. den Anwendungen auf die
betr. Ziffern der revid irten zweiten Lesung, welche im Buchhandel, noch nicht veröffentlicht