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Reyscher:
§. Ständische Theilirahme an der Gesetzgebung. (Recht der
Zustimmung oder Recht des Beiraths?)
Zu den malten Rechten der Stände gehört namentlich die
Theilnahme an der Gesetzgebung, d. h. die Befugnis zu all-
gemeinen Landesgesctzen, insbesondere Landrechten, Landesordnun-
gen, die Zustimmung zu geben. Zwar giebt es immer noch Schrift-
steller, welche anführen, daß den Ständen überall ursprünglich
nur eine Befugnis des Rathertheilens, welche von selbst wieder
durch das Rathsuchen von Seite des Landesherrn bedingt wäre,
zugekommen sei J). Diese Behauptung ist jedoch alles historischen
Grundes entblößt, mag man nun zu den alten Volksrechten
zurückkehren, wo die Volksversammlung, gebildet durch die freien
Stände (nobiles et ingenui), den Mittelpunkt aller öffentlichen
Geschäfte bildete, und wo es Grundsatz war: lex consensu po-
puli fit et constitutione regis1 2), oder mag man dm Zustand
nach Entstehung der Landeshoheit ins Auge fassen, welche
keineswegs ursprünglich eine gesetzgebende Gewalt in sich schloß,
sondern solche nur von der Autonomie der Volksgemeinden entleh-
nen konnte, aus deren Zerfall sie hervorgegangen war. Auch jetzt
noch waren einzelne Ueberreste der alten Volksrechte übrig geblie-
ben, und hierunter namentlich das Recht der Mitwirkung der freien
Landsassen an allgemeinen Landesangelegenheiten auf den sogen.
Landtagen (placita terrae). Hierauf bezieht sich die Verordnung
Kaiser Heinrich's VII. v. 1. Mai 1231, worin mit Einwilligung
der Fürsten festgesetzt ist:
nt neque principes neque alii quilibet constitutiones vel nova
iura facere possint, nisi meliorum et maiorum terre con-
sensus primitus habeatur3).
Es ist zwar häufig auch bloß von einem Rath e in Urkunden
1) Bemerkungen über die ältere ständische Verfassung in Hessen, S. 48 f.
— Maurenbrecher, Deutsches Staatsrecht, §♦ 155.
2) Caroli II. Edictum Pistense de anno 864. cap. 6, bei Pertz, Monum.
Germ. Legum, tom. I. p. 490. Vergl. Lex Alamannorum, tit. 41: „Sic
convenit duci et omni populo/4
3) Pertz, l. c. tom. II. p. 283. Vergl. Eichhorn, Deutsche Staats- u.
Rechtsgeschichte, Th. H. §♦ 264.