Gegenwart und Zukunft des deutschen Rechts. 501
am römischen Rechte änderte; ja es ist das heutige römische
Recht so wenig mehr das alte römische Recht, als das heutige
Chriftenthum sich für das Chriftenthum der Apostelzeit ausgeben
kann. Rechtsgesetze und Gerichtsgebrauch und am meisten die
communis öoetvrum opinio, die Entwicklung der deutschen
Rechtswissenschaft haben in der Art das römische Recht umge-
bildet , daß es wahrhaft deutsches Recht geworden ist. Daß
das canonische Recht das gleiche Schicksal gehabt hat, bedarf
keiner besonderen Ausführung. Aber auch das, was man im
Besonderen das deutsche Recht nennt, hat durch die geschicht-
liche Entwicklung von seiner Ursprünglichkeit verloren, es haben
römisches, kanonisches und deutsches Recht ihre Unterschiede bis
auf einen gewissen Grad ausgeglichen, es ist das Eine natio-
nale Rechtsbewußtsein, welches diese Unterschiede in sich aufge-
hoben und assimilirt hat. Wenn dieß schon für das Privatrecht,
in welchem jene Sonderung noch herrschend ist, gilt, so ist es
noch weit augenscheinlicher der Fall im Straf- und Proceßrecht,
so wie im Staatsrecht. Der Character der neueren Rechtsentwick-
lung endlich ist es, auch die Gebiete der einzelnen Rechtsdiciplinen
und dadurch ihre Scheidung nach den Rechtsquellen nicht mehr
in der früheren Weise festzuhalten; das Strafrecht wird be-
stimmend für das Privatrecht, das Staatsrecht für beide u. s. w.
Es erweist sich so, daß in den Rechtssätzen, welche man dem Gebiete
des gemeinen deutschen Rechts zu vindiciren gewohnt ist, die Sonde-
rung nach den Rechtsquellen unbegründet, daß es nothwendig ist,
das gemeine Recht in Deutschland als Ein durch jene Besonderun-
gen sich continuirendeö Ganzes aufzufassen. Praktisch stellt sich
dieß auch darin dar, daß es nothwendig wird, bei Darstellung der
einzelnen Disciplinen nach dem Unterschiede der Rechtsquellen auf
einander Bezug zu nehmen, welcher dürftige Behelf wegfallen müßte,
wenn versucht würde, das Recht Ln seiner Totalentwicklung als
deutsches Recht darzustellen.
Betrachten wir sofort die Stellung des deutschen Rechts
zu dem Rechte der besonderen deutschen Staaten, so kann zwar
von einer Rechtseinheit in formellem Sinne, wie schon ausgeführt
wurde, nicht die Rede sein; dagegen erweist sich die innere
nationelle Rechtseinheit als wirklich vorhanden. Soweit die
besondere Rechtsgestaltung in den einzelnen deutschen Staaten