594 Was kann Inhalt einer Grunddienstbarkeit sei»?
daß es 2., was das Verhältniß des Berechtigten und Verpflichteten anbctrifft, den
Vorschriften über die persönlichen Dienstbarkeiten unterstellt sein soll. Und das
Alles ganz ohne Unterschied, wie sich in concreto das Bau- oder Kellerrecht ge-
staltet, ob die Baulichkeit, der Keller einem Nachbargrundstück des Berechtigten
vortheilhaft ist oder nicht. Wo aber das Gesetz nicht unterscheidet, ist der Interpret
zu unterscheiden nicht berechtigt.
Solcher Unterscheidung würden'dann auch gewichtige praktische, der Rücksicht
auf die Sicherheit des Rechtsverkehrs und dem Jngrossationssystem entnommene
Bedenken entgegenstehen. Die hier abgelehnte Unterscheidung führt zu dem schwan-
kenden Ergebniß, daß das Bau- und Kcllerrecht, je nachdem es den Inhalt einer
Grunddienstbarkeit zu bilden geeignet erscheint, „über den Inhalt einer Grund-
dicnstbarkeit nicht hinausgeht", oder über ihn hinauSgreist, zu seiner Wirksamkeit
gegenüber Dritten, seiner Vererblichkeit und Veräußerlichkeit des Eintrags im
Grundbuch nicht bedarf, oder bedarf. Bei der Unsicherheit des Kriteriums und
der Bedeutsamkeit des fraglichen Rechtes muß diese Unterscheidung die Rechtssicherheit
erheblich gefährden. Die unten folgende Erörterung wird für diese Behauptung
weitere Bestätigung bringen. In den allgemeinen Motiven des B.G.B.'s ist
dessen Grundsatz, die Grunddienstbarkeiten nicht dem Jngrossationssystem zu unter-
stellen, gerechtfertigt durch den Hinweis auf die geringe Bedeutung, welche die
Grunddienstbarkeiten haben, auf den geringen Einfluß, welchen sie auf den Werth
des dienenden Grundstücks ausüben, und endlich auf die Interessen des herrschen-
den Grundstücks, die schwere Erkennbarkeit des Dienstbarkeitsverhältnisses und die
dadurch bei Nothwendigkeit der Jngrossation sich ergebenden Gefahren für den Be-
rechtigten. Es liegt auf der Hand, daß keine dieser Erwägungen bei bem so tief
greifenden Bau- und Kellerrecht zutrifft. Wenn der Gesetzgeber es in § 661 dem
Jngrossationszwang unterstellte, so wäre es Willkür, nach subjectiven Erwägungen
im einzelnen Fall von demselben absehen zu wollen.
Hierzu gesellen sich folgende, den vorstehenden Gedankengang theilweise ver-
vollständigende Erwägungen.
Es muß daran festgehalten werden, daß das Bau- und Kellerrecht den
Anforderungen, welche die §§ 535, 540 an die Grunddienstbarkeit stellen, nicht
entspricht.
1. In den gewöhnlichen Erscheinungsfällen — und das Gesetz ist von den
Regelfällen abstrahirt — wird das Baurecht — nur von diesem ist in gegen-
wärtigem Fall die Rede — „die gesammten Nutzungen des fremden Grundstücks"
ergreifen oder mindestens wirthschaftlich mit dem Recht, „eine Wohnung auf dem-
selben zu benutzen" auf die gleiche Stufe zu stellen sein: Solche Rechte können
aber nach B.G.B. § 540 nicht Inhalt einer Grunddienstbarkeit sein. Wer ein
Hans auf fremdem Grund und Boden haben darf und hat, erschöpft mehr als
der Nießbraucher die Nutzungen des Grundstücks.
Er hat ein umfassenderes Recht, als derjenige, welcher nur „wohnen" darf.