Full text: Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht und Prozeß (Bd. 1 (1891))

"574 Coith, über die Voraussetzungen für die Schadensersatzpflicht
Rechts soll auch Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit
und der Ehre angesehen werden"), so ist der verursachte Schaden auch dann zu
ersetzen, wenn die Entstehung eines Schadens nicht vorauszusehen war (Abs. 2).
In den anderen Fällen tritt diese Verpflichtung nur dann ein, wenn der Beschii-
schädigende die Entstehung eines Schadens „vorausgesehen hat oder voraussehen
mußte."
Wer diesen Paragraphen liest, ohne die Motive zu Rathe zu ziehen — und
es soll doch ein Gesetz schon durch seinen Wortlaut und ohne erst eines Com-
mentars zu bedürfen den Willen des Gesetzgebers klar erkennen lassen— der muß
sich fragen: Was versteht der Entw. unter einer „widerrechtlichen Handlung"?
Eine Handlung kann doch nicht „widerrechtlich" genannt werden, wenn sie Niemandes
Rechte verletzt. Der Entw. spricht aber nur im zweiten Abs. von Handlungen,
durch welche „das Recht eines Andern verletzt wird"; im ersten Abs. sieht er
von der letzteren Voraussetzung ab und trotzdem beschäftigt er sich auch hier mit
der Schadensersatzpflicht, welche in Folge „widerrechtlicher Handlungen" eintrete.
Was ist also der ausgedehntere Begriff, welchen der Gesetzgeber mit dem Worte
„widerrechtlich" verbindet?
Die Zuhülfenahme von §§ 705, 706, 707 ist nicht geeignet, über diese
Fragen ausreichendes Licht zu verbreite». Aus diesen Paragraphen ersieht man
nur, daß „eine kraft der allgemeinen Freiheit an sich erlaubte, aber gegen die
guten Sitten verstoßende" Handlung zu den „widerrechtlichen" zu zählen sei, wenn
sie einem Andern zum Schaden gereiche; daß eine Handlung, in die der Be-
schädigte eingewilligt habe, nicht unter diesen Begriff gehöre, und daß derjenige
nicht schadensersatzpflichtig sei, welcher die schädigende Handlung aus entschuld-
barem Jrrthum für erlaubt hielt.
Erst durch das Studium der' Motive erhält man einen näheren Auffchluß
darüber, was der Gesetzgeber sich unter „widerrechtlichen Handlungen" gedacht habe;
nämlich Handlungen, die nicht der Ausfluß „eines uns zustehenden besonderen
(also eines concreten) Rechtes" (z. B. des Eigenthums, einer Grunddienstbarkeit)
sind, sondern die wir vornehmen dürfen, „nur kraft unsrer natürlichen Freiheit
und die in Folge dieser allgemeinen Freiheit zwar erlaubt, aber dabei illoyal sind,
gegen die guten Sitten verstoßen" (Motive Bd. II p. 727) — „durch die Rechts-
ordnung verbotene Handlungen" (ebendaselbst p. 747, 796) — „Verstöße gegen
ein absolutes gesetzliches Verbot" (p. 726).
Wenn man aber auch den Vorschlag machen wollte, die letztgedachten Aus-
drücke oder den einen oder den andern derselben in den Wortlaut des Paragraphen
aufzunehmen, so würde doch an Klarheit Wenig gewonnen sein.' Was ist eine
Handlung, die kraft der natürlichen Freiheit erlaubt ist, auch Niemandes Rechte
verletzt und doch als illoyal bezeichnet werden muß? Was ist eine „durch die
Rechtsordnung verbotene" Handlung? Was verstehn die Motive unter „Rechts-
ordnung"? Dies Wort ist leichter ausgesprochen, als mit einer für die Entscheidung

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