214 Eger, Die Haftpflicht der Eisenbahn für Versäumung der Lieferfrist.
Fälle des § 85 gilt daher auch für die des § 87 und umgekehrt; sie fehlt daher
nur, wenn weder für den einen noch für den andern Fall eine Angabe statt-
gefunden hat.
Sind diese Voraussetzungen vorhanden, so unterscheidet § 87 nach
den bereits erörterten Grundsätzen Vergütungen, welche ohne Schadens Nachweis
beansprucht werden können, und Vergütungen, welche nur mit Schadens-
nachweis beansprucht werden können.
1. Ohne Schadensnachweis darf der Schadensanspruch bestimmte ali-
quote, mit der Dauer der Versäumung im Verhältniß stehende Tyeile der Fracht
bis zur Hälfte derselben nicht übersteigen. „Ohne Schadensnachweis"
bedeutet, daß damit auch der Gegenbeweis der Eisenbahn ausgeschlossen ist, d. h.
der Betrag der vorgezeichneten Normalsätze kann schlechthin und unanfechtbar ohne
einen zu führenden Schadensnachweis und mit Ausschluß des Gegenbeweises
beansprucht werden. Die Annahme, es sei hier nur eine Vermuthung hin-
gestellt, gegen welche der Eisenbahn der Gegenbeweis offenstehe, ist unzutreffend.
Vielmehr liegt hier ganz wie im Falle des § 79 eine zu Gunsten des Ent-
schädigungsberechtigten eingeführte Rechtsfiktion in Betreff der Existenz und
Höhe deS Schadens vor, gegen welche ein Gegenbeweis ausgeschlossen ist.
Denn der Zweck dieser Vorschrift besteht, wie sich aus den Materialien des zu
Grunde liegenden Art. 40 des Internationalen Uebereinkommens klar ergiebt,
gerade darin, bei Versäumung der Lieferfrist behufs Vereinfachung des Ent-
schädigungsverfahrens im Verkehrsinteresse langwierige Streitigkeiten und Beweis-
führungen über Existenz und Höhe des Schadens zu vermeiden und deshalb, wenn
die Versäumung der Lieferfrist feststeht, verhältnißmäßig geringfügige Theile der
Fracht als Vergütung ohne jeden Schadensnachweis zu gewähren. Würde der
Gegenbeweis zugelassen werden, so würde der Zweck dieser Bestimmungen illu-
sorisch sein. Auch die Bestimmungen des zu Grunde liegenden § 70 des alten
deutschen und österreichisch-ungarischen Betriebsreglements sind in der Theorie
und Praxis stets in diesem Sinne aufgefaßt worden. Die Bestimmung des Abs. 2
8 87 der Eisenbahnverkehrsordnung, wonach im Falle des Gegenbeweises der
Eisenbahn keine Vergütung zu leisten ist, ist daher, weil im Widerspruch mit § 466
Abs. 3, § 471 Abs. 1 des neuen Handelsgesetzbuchs stehend, nichtig.
Es sind je nach dem Umfange der Verspätung (1—5 Tage) fünf Normal-
sätze bestimmt, welche in Frachtantheilen bestehen, nämlich Vio, 2 ho, 3ho, Vio
und 6/10 der Fracht. Unter „Fracht" ist die nach den Tarifsätzen gemäß §§ 7, 60
der Verkehrsordnung berechnete Eisenbahnsracht zu verstehen, nicht auch der
Betrag von baaren Auslagen (§ 60 Abs. 2), Vorfracht rc. (Entsch. d. R.O.H.G.
XIV S. 200; v. Hahn II S. 752; Schott S. 509). Mehr als die Hälfte
der Fracht darf ohne Schadensnachweis und ohne Jnteressedeklaration unter keinen
Umständen gefordert werden, wie groß auch immer die Lieferfristüberschreitung sei.
Den Nachweis für die Lieferfristüberschreitung und ihren Umfang, sowie die Höhe