Eger, Die Haftpflicht der Eisenbahn für Versäumung der Lieferfrist. 211
Nachweis führen, dann ist sie von der Haftpflicht liberirt, gleichviel ob sich das
betreffende Ereigniß als ein innerer oder äußerer Zufall darstellt, d. h. ob
es die Handlungen der eigenen Leute der Eisenbahn und die Funktionen ihrer
Betriebsmittel oder ob es Naturereignisse oder Handlungen Dritter betrifft.
Das alte Handelsgesetzbuch beschränkte den Umfang des Schadenersatzes für
Versäumung der Lieferzeit nicht — wie für Verlust.und Beschädigung (Art. 396)
— auf den wirklichen Schaden, sondern dehnte ihn auf den vollen Schaden,
also auch den entgangenen Gewinn, das individuelle Interesse, d. h. auf alle,
aus der Versäumung entstandenen direkten und indirekten Nachtheile aus. Der
gewöhnliche Frachtführer durfte den in dieser Weise gesetzlich normirten Umfang
des Schadensersatzes durch Vertrag beliebig beschränken oder vermindern. Den
Eisenbahnen hingegen war dies durch Art. 423 des alten Handelsgesetzbuchs zwar
grundsätzlich verboten. Doch war ihnen eine vertragliche Beschränkung des aus
Art. 397 folgenden regelmäßigen Umfangs der Entschädigung in gewissen Grenzen
durch die Einführung der Deklaration des Interesses an der rechtzeitigen
Lieferung in Verbindung mit dem Normalsatze gestattet.- Durch Art. 427 Ziff. 2
des alten Handelsgesetzbuchs war den Eisenbahnen — ausgenommen im Falle
böslicher Handlungsweise — eine Vereinbarung erlaubt, wonach die Höhe des
nach Art. 397 wegen verspäteter Lieferung zu leistenden Schadensersatzes den im
Frachtbrief, im Ladeschein oder im Gepäckschein als die Höhe des Interesses an
der rechtzeitigen Lieferung angegebenen Betrag (Verzugsinteressedeklaration), und in
Ermangelung einer solchen Angabe einen im Voraus bestimmten Normalsatz,
welcher auch in dem Verluste der Fracht oder eines Theiles derselben bestehen
kann, nicht übersteigen soll. Wie bei Verlust und Beschädigung bildete auch bei
Versäumung der Lieferzeit der deklarirte Betrag bezw. der Normalsatz nur die
Maximalgrenze, bis zu welcher überhaupt die Eisenbahn Schadensersatz leistete,
nicht aber etwa ohne Weiteres das im Voraus vertragsmäßig fixirte Quantum
der im Verspätungsfalle zu leistenden Entschädigung (R.O.H.G- XI S. 229). Dem
Beschädigten lag daher nicht allein die Pflicht ob, den Schaden, für welchen Er-
satz gefordert wurde, nachzuweisen, sondern auch, daß dieser Schadensanspruch sich
innerhalb der gezogenen Grenzen hielt, den als Maximum festgesetzten Betrag
nicht überstieg. Auch durfte die Vereinbarung eines Normalsatzes nur geschehen,
wenn zugleich die Möglichkeit einer Deklaration des Lieferungsinteresses gegeben
war. Die Vereinbarung eines Normalsatzes unter Ausschluß der Deklaration
des Lieferungsinteresses war unzulässig (v. Hahn II S. 778, Schott
S. 502. 508).
Das neue Handelsgesetzbuch hat sich im 8 466 Abs. 2 ff. dem System
des Internationalen Uebereinkommens (Art. 40) angeschlossen, welches im
Wesentlichen auf den Prinzipien des alten Handelsgesetzbuchs Art. 397, 427 Ziff. 2
beruht. Während der Grad der Haftpflicht geringer ist, als im Falle des Ver-
lustes und der Beschädigung (s. S. 207), ist der Umfang des Schadensersatzes
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