210 @g et, Die Haftpflicht der Eisenbahn für Versäumung der Lieferfrist.
ist der Haftpflichtanspruch an sich begründet. Die Eisenbahn ist für den
Schaden verantwortlich, „eS sei denn, daß die Verspätung von einem Ereignisse
herrührt, .welches sie weder herbeigeführt hat, noch abzuwenden vermochte". Diesen
Beweis hat die Eisenbahn zu führen. Bereits oben ist darauf hingewiesen
worden, daß, wenngleich hiermit eine strengere Haftpflicht, als die aus der Sorgfalt
eines ordentlichen Frachtführers gemäß Art. 397 des alten Handelsgesetzbuchs sich
ergebende, an sich nicht beabsichtigt war, doch durch die gewählte Fassung die
Haftpflicht der Eisenbahnen strenger gestaltet ist, als nach Art. 39? des alten
Handelsgesetzbuchs und im Vergleich zu diesem eine''Verschärfung erfahren hat.
Will man den Wortlaut nicht ganz außer Acht lassen, so steht die Haftpflicht für
Verspätung (Verkehrsordnung § 86) der Haftpflicht ex reeepto für Verlust und
Beschädigung (Verkehrsordnung § 75) erheblich näher, als die aus der bloßen
Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers sich ergebende. Denn der Beweis, daß
die Verspätung von einem Ereigniß herrührt, welches die Eisenbahn
weder herbeigeführt hat, noch abzuwenden vermochte, umfaßt unver-
kennbar mehr, als den Beweis, daß sic die Verspätung durch die Sorgfalt eines
ordentlichen Frachtführers nicht habe abwenden können. Die Eisenbahn hat einer-
seits den Negativbeweis zu führen, daß das die Verspätung verursachende Er-
eigniß nicht von ihr hcrbeigeführt ist, und andererseits den positiven Beweis zu
erbringen, daß sie dieses Ereigniß nicht abzuwenden vermochte, und zwar —
Mangels jeder Einschränkung — nicht bloß mit der Sorgfalt eines ordentlichen
Frachtführers, sondern mit allen nach vernünftiger Verkehrsanschauung überhaupt
möglichen Mitteln.
1. Kann sie den Beweis nicht erbringen, daß das betreffende Ereigniß
nicht von ihr herbeigeführt worden, dann haftet sie, gleichviel ob die Herbei-
führung von ihr verschuldet ist oder nicht, für den Schaden aus der Verspätung.
Als nicht von ihr herbeigeführt sind auch diejenigen Ereignisse bezw. Handlungen
zu betrachten, die durch das eigene Verschulden des Verfügungsberechtigten oder
durch eine nicht von der Eisenbahn verschuldete Weisung desselben (nachträgliche
Verfügungen: Verkehrsordnung §§ 64 ff.) verursacht sind.
2. Kann sie aber den Beweis erbringen, daß das betreffende Ereigniß
nicht von ihr herbeigeführt worden ist, oder ist dies — wie bei Naturereignissen
— an sich ersichtlich, dann muß sie noch den Nachweis führen, daß sie dieses
Ereigniß nicht abzuwenden vermochte. Kann sie letzteres nicht darthun, so
haftet sie für den Schaden aus der Verspätung. Dieser Nachweis muß sich dar-
auf erstrecken, daß sie weder den Eintritt noch die Folgen des Ereignisses
abzuwenden vermochte. Andererseits hat die Eisenbahn nicht darzuthun, daß das
Ereigniß weder in seinem Eintritt noch in seinen Folgen unbedingt und unter
allen Umständen unabwendbar gewesen ist. Vielmehr genügt der Nachweis,
daß dies mit vernünftigen Mitteln und unter Anwendung der größten
Sorgfalt nach Lage der Sache nicht möglich war. Kann die Eisenbahn diesen