Ueber Gewissensfreiheit.
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wohl etwas anders als Religionszwang sei, wenn mit dem Aus-
tritt aus der im Staate öffentlich ausgenommen Kirche Verlust
der Ehrenstellen, der Aemter, und somit wohl auch für Viele ihrer
Subsistenz verbunden ist?
„Stc Glieder der verschiedensten Kirchen", sagt ein neuerer beach-
tenswerther Autor 6I), „müssen als Bürger Eines Staates auf EineAnie
der Rechte und Verpflichtungen gestellt werden, theils der Gerechtigkeit
wegen, welche der Staat allen seinen Gliedern schuldig ist, theils,
und fast mehr noch, um die Religion nicht mit ihr fremden Inter-
essen zu vermischen und zu verunreinigen, und sie ihren sonst unver-
meidlichen Mißbrauch als Vehikel irdischer Vortheile, als Flug- und
Schwimmhut zu Ehrenstetten zu schützen." Ueberall, wo das Be-
kenntniß eines bestimmten Glaubens mit Rechtsnachtheilen verbun-
den ist, wird es nicht an Religionswechseln fehlen, um diesen zu
entgehen, und anderseits wird der einmal rege gewordene Verdacht,
dem Uebertritt zu der begünstigten Kirche solche äußerliche Beweg-
gründe zu unterstellen, nur allzu bereit sein.
§. 8.
Nicht häufig wird wohl ein dkrecter Gewissenszwang, Verbot
eines NeligionswechselS, oder Nöthigung zur Auswanderung beim
Uebertritt zu einer andern Glaubenspartei®2) bei uns offene Ver-
si) Ueber Gewissensfreiheit. Briefe eines Idioten an einen alten
Waffenbruder. Dresden, 1846. S. 27.
62) Die Ausweisung der Zillerthaler sucht indeß Roshirt (Geschichte
und System des deutschen Strafrechts Bd. 3. S. 157) dadurch
zu rechtfertigen, daß Oestreich das Entscheidnngsjahr für seine
Erbstaaten niemals anerkannt habe, und das jus reformandi des-
selben mithin unbeschränkt sei; er beklagt sich dabei, daß „in un-
serer Zeit, die alles Historische nebenansetzt, sich Niemand dieses
Umstandes habe erinnern wollen!" Als der westphälifche Frieden
sehr frisch in Aller Erinnerung lebte, als er die unzweifelhafte
Norm des Rechts war, da wiederholten sich Jahrhunderte lang
die bittersten Klagen der evangelischen Reichsstände, daß man das
historisch-vertragsmäßige Recht tatsächlich nebenansetze, den Evan-
gelischen die Auswanderungsfreiheit, die ihnen in allen deut-
schen Ländern als flebile beneficium zugestchert war, nicht einmal
gewähre, und noch im I. 1754 beschwerte sich das Corp. Evang.,