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Ueber Gewissensfreiheit.
Rechte sie allen andern christlichen Religionsparteien, außer den
dreien, zugestehen wollten. Den Juden wurden nur die, ihnen
von den Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte garantirt.
Man weiß, was das heißen sollte, und was darauf erfolgt ist^).
Die gesetzlichen Bestimmungen über Gewissens- und Religionsfrei-
heit in den neueren Gesetzen, besonders den Verfassungsnrkunden
einzelner Staaten, werden uns weiterhin beschäftigen.
§. 7.
Die Gewissensfreiheit oder vielmehr was nach Maaßgabe von
Zeit und Ort mit diesem Namen in Deutschland bezeichnet worden,
ist nicht aus einer Anerkennung und Durchführung des Grund»
satzes entstanden: humani juris ac naturalis potestatis est unicui-
que, quod putaverit, colere; oder wie Luther denselben Grundsatz
ausdrückt: „daß es Jedem auf sein Gewissen liegt, wie er glaubt
oder nicht glaubt, und damit der weltlichen Macht kein Abbruch ge-
schieht." Unsere deutschrechtliche Gewissensfreiheit ist vielmehr auf
dem Boden der überkommenen Religionsherrschaft erwachsen, und
besteht in der Beschränkung des von Kirche und Staat geübten Re-
ligionszwanges, zunächst durch den westphälischen Frieden, durch eine
milder gewordene Praxis und Gesetzgebung in den einzelnen Staa-
ten. Daraus erklärt sich dann auch die Annahme einer engern und
weitern Gewissensfreiheit bei unfern ältern Juristen und die Unter-
scheidung von Gewissensfreiheit und Religionsfreiheit, welche man als
zwei ihrem W e se n nach verschiedene Rechte betrachtete, um so die positi-
ven Bestimmungen, welche unter dem ersten Namen nur ein beschränk-
tes Maas von Freiheit einräumen, gewiffermaaßen zu rechtfertigen.
Daß Niemand mit Gewalt zu einem Glauben d. h. Ablegung
eines Bekenntnisses und zur Beobachtung gewisser religiöser Ge-
bräuche und Handlungen gezwungen, daher auch gewaltsam in einer
Kirche zurückgehalten werden kann, oder wegen seiner religiösen
Ueberzeugung und der Kundgebung derselben verfolgt, wie ein Ver-
brecher bestraft werden kann, ist das erste Ablassen von der rohesten,
direktesten, aber zugleich auch offen und ehrlichsten Art des Reli-
gionszwanges. Die Berechtigung, eine der im Reiche aufgenomme-
53) S. Klübers Ueberflcht der Verhandlungen des Wiener Eongreffes
S. 382 ff.
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