Ueber Gewissensfreiheit.
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„Denn in dem Gewissen — sagt Luther28) — will Gott allein
sein, und sein Wort allein regieren lassen: da soll Freiheit sein von
allen Menschengesetzen. — Zu dem Glauben kann und soll man
Niemand zwingen, sondern Jedermann Vorhalten das Evangelium,
und vermahnen zum Glauben, doch den freien Willen lassen zu fol-
gen, oder nicht zu folgen. Es sollen alle Sakramente frei sein
Jedermann. Wer nicht getauft sein will, der laß es anstehen.
Wer nicht will das Sacrament empfangen, hat sein wohl Macht.
Wer nicht beichten will, hat sein auch Macht vor Gott."
Und ein anderesmal:^)
„Das weltlich Regiment hat Gesetz, die sich nicht weiter er-
strecken, denn über Leib und Gut, und was äußerlich ist auf Erden.
Denn über die Seele will und kann Gott Niemand lassen regieren,
denn sich selbst allein. Darum ob weltlich Gewalt sich vermißt,
der Seelen Gesetz zu geben, da greift sie Gott in sein Regiment,
und verführt und verderbt nur die Seelen. Gott allein erkennt
nur die Herzen, darum ist es unmöglich und umsonst, Jemanden
zu gebieten oder mit Gewalt zu zwingen, so oder so zu glauben.
Weil es denn Jeglichem auf sein Gewissen liegt, wie er glaubt
oder nicht glaubt, und damit der weltlichen Gewalt kein Abbruch
geschieht, soll sie auch zufrieden sein, und ihres Dinges warten und
lassen glauben, so oder so, wie man kann und will, und Nieman-
den mit Gewalt dringen. Denn es ist ein frei Werk um den
Glauben, dazu man Niemand kann zwingen"^).
Aber der Boden war noch nicht empfänglich, um die Saat
der Freiheit zur Reife kommen zu lassen. Die Männer, welche
die Fesseln des Glaubenszwanges und der Glaubensherrschaft ge-
brochen hatten, sehen wir von der freien Höhe, auf welche sie sich
gestellt hatten, durch Anschauungen und Vorstellungen, welche der
geistigen Atmosphäre angehörten, in der sie erwachsen waren, herab-
28) Traetat von der Beicht, ob die der Papst Macht habe z« gebie-
ten. 1521.
29) Von weltlicher Obrigkeit. 1523.
30) Noch andere ähnliche Aeußerungen von Luther und andern Schrift-
stellern aus jener Zeit s. in K. Hagen's Geist der Reformation
Bd. 1. S. 286 ff. Auch in K. H. Scheidler's Aufsatz: über
das Verhältniß der Kirchen- und Staatsgewalt zu den religiösen
Seelen in der Braun'schen Minerva v. 1835 Bd. 2. S. 1 ff.