Melly, Die Uebersendungspflicht des Verkäufers und ihre Wirkungen. g
„und es gilt die Uebergabe für vollzogen, wenn die Waare an den vom Ver-
käufer bestimmten Spediteur oder Frachtführer zur Verfügung des Käufers ab-
gegeben ist".
Durch den Zusatz „zur Verfügung des Käufers" sollte der Besitzübergang auf
den Käufer genauer bezeichnet und andrerseits die Anwendbarkeit des nunmehrigen
Artikel 286 auf Waare, über welche ein „auf Ordre" lautender Frachtbrief aus-
gestellt ist, ausgeschlossen werden. (Nürnb. Protokolle Bd. II S. 638.)
Bei der zweiten Lesung des Entwurfs gewannen jedoch wesentlich andere
Grundsätze die Oberhand. Schon bei der ersten Lesung war von einer Seite be-
merkt worden, daß es gegen die obersten Grundsätze über den Besitzerwerb ver-
stoße, wenn man annehme, daß von dem Frachtführer für den Käufer Besitz
ergriffen werde, der ihn doch gar nicht dazu.beauftragt habe, ja nicht einmal
davon wisse b). Zwar wurde nunmehr hiergegen geltend gemacht, daß es nicht
sowohl darauf ankomme, ob der Frachtführer den Käufer repräsentire, als vielmehr
auf die — schon oben angedeutete — rechtliche Konstruktion, wonach der Ver-
käufer mit dem Zeitpunkt, an welchem er dem Frachtführer übergebe, bei sich ein
voustitutum possessorium für den Käufer vornehme, infolgedessen der Besitz
auf den Käufer übertragen und sodann dieses Besitzverhältniß während des
Transports durch den Frachtführer fortgesetzt werde. Der Wille des Käufers und
Verkäufers zu einem solchen eoustitutum ergebe sich aus der Art des Kontrakts,
indem beide davon ausgingen, daß der Verkäufer an seinem Orte zu erfüllen
habe und daß er zur Annahme des Frachtführers für de,: Käufer stillschweigend
beauftragt sei. Allein demgegenüber wurde wiederum eingehalten, daß die Auf-
fassung, wonach Spediteur oder Frachtführer mittelbar für den Käufer Besitz aus-
übten, ebenso wie die Annahme, daß der Verkäufer bei der Versendung als
Mandatar oder Geschäftsführer des Käufers handle, den kaufmännischen Ansichten
und Bedürfnissen nicht entspreche, welche es vielmehr forderten, daß der Verkäufer
während des Transportes der Waare dieselbe noch als sein Eigenthum betrachten
und nöthigenfalls vindiziren könne, während er mit der Uebersendung lediglich
eine ihm zufolge ausdrücklicher oder stillschweigender Nebenberedung obliegende
Verpflichtung erfülle. (Mrnb. Protokolle Bd. III S. 1377 flg.)
Schließlich wurde der Artikel in derjenigen Fassung, als Art. 321, ange-
nommen, welche später auch in das Gesetz, als Art. 344, übergegangen ist, womit
nur gesagt sein sollte, daß der Verkäufer durch Uebergabe der Waare an die den
Transport ausführendc oder vermittelnde Person seiner Erfüllungspflicht nachgc-
kommen sei. Ob der Verkäufer damit dem Käufer juristisch tradirt habe, dies zu
2) Die Anwendbarkeit des übrigens dem Sinne nach bestrittenen Römischen Rechtsatzes
per procuratorem etiam ignoranti acquiritnr possessio (§ 5 Jnst, per quas pers. II. 9,
l. 47 v. de usurp. XLI, 3.> würde zunächst wohl davon abhängen, ob hierin eine wirkliche
Austragsertheilung vorausgesetzt, oder unter procurator auch der unbeauftragte Geschäfts-
führer zu verstehen ist.