92 Der Verfaffungsstreit in Kurheffen.
vermeiden, alle schützenden Einrichtungen, wie ständische Vertretung,
geordnete Rechtspflege, darüber preisgegeben werden.
Und welche Erinnerungen weckt dieser neueste Vorgang? In
dem Hannoverischen Verfassungsstreit wurde früher (1839) von
dem Bunde das, in anerkannter Uebung befindliche Staatsgrund-
gesetz nicht geschützt, weil die Regierung zugleich mit dem Grund-
gesetz auch die Ständeversammlung aufgelöst hatte und so dasjenige
Gesammtorgan fehlte, welches in den Augen des Bundestags allein
berechtigt gewesen wäre, die Verfassung zu reklamiren. In der
kurhessischen Sache hält sich der reactivirteBundestag zwar nicht
für incompetent; aber der Bundescommissär übernimmt es, das
permanente ständische Organ unschädlich zu machen, weil die
einheimische Regierung es nicht gewagt hatte, dasselbe zu beseitigen.
In Hannover wurden einzelne Staatsdiener, welche ihrem Verfas-
sungseide treu geblieben waren, über die Grenze geschickt. In Kur-
heffen ist ein Bundeskriegsgericht niedergesetzt, welches gleich-
zeitig mit einem kurhessischen Kriegsgericht beschäftigt ist,
Beamte, Offiziere und Bürger einzukerkern und zu verurtheilen —
weil sie ihrer geschwornen Pflicht nicht untreu werden wollten! Daß
unter diesen Umständen die Mitglieder des Ausschusses auch ihre
verfassungsmäßige Unverantwortlichkeit in amtlichen Handlungen
(vgl. Berf.-Urk. §. 87) nicht schützt, kann kaum mehr auffallen;
denn was geht nicht alles in den Krieg!
Ein Fehler hat gar leicht einen zweiten zur Folge! Daß man
früher nicht eingesehen: ein Ministerium, welches nicht blos vom
Volke, sondern auch von allen ehrenhaften und tüchtigen Männern
im Staatsdienste und von der Mehrzahl der Offiziere verlassen ist,
müsse auch von Gott verlassen sein, rächt sich jetzt: denn man fin-
det keine Richter, welche die verfassungstreuen Diener und Unter-
thanen verurtheilen würden; man sieht sich also genöthigt, mitten
im Frieden Krieg zu führen gegen das eigene Land, und Kriegs-
gerichte einzusetzen mit Hülfe auswärtiger Militärpersonen, welche
weder dem Lande, noch seiner Regierung verpflichtet sind, also —
fetzt man voraus — geneigter sein werden, dem Willen des Kriegs-
herrn unbedingte Achtung zu verschaffen. So wird der natürliche
Grundsatz verletzt, den selbst die byzantinischen Herrscher anerkann-
ten, daß Niemand Richter sei in eigener Sache (C. III, 5
ne quis in sua causa judicet vel jus sibi dicat.) So wird aber