Full text: Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht und Prozeß (Bd. 10 (1900))

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Literatur.

Richter den Müller schadlos halten sollten, daß sie kassirt würden und daß sie zu einem
Jahr Festungshaft verurtheilt wurden. Dieses Urtheil wurde dann auch vollzogen. Es
entsprach dies aber dem staatsrechtlichen Gedanken jener Zeit vollkommen. Der König
mißtraute nun der Justiz, dachte, daß von den Gerichten wissentlich das Recht gebeugt
würde. Das aber sollte anders werden, es sollte ein neues Recht entstehen, auf das gegen-
wärtige Rechtsgefühl und auf die Gewohnheiten des Volks gegründet. Am 14. April 1780
erhielt deshalb der Großkanzler Befehl von ihm, eine Kommission zu bilden zur Ausarbeitung
eines Gesetzbuchs. Er sollte darein rufen „ehrliche und habile Leute, nicht Professoren, weil
die immer zu weitläufig seyn". Vor allem sollte man sich einer verständlichen Sprache
bedienen. Die Redaktion des neuen Gesetzbuchs ist in der Hauptsache das Werk Svarez,
eines scharfen und praktischen Denkers. 14 Jahre arbeitete man unermüdlich und schasste
ein Werk, das für einen Zeitraum von hundert Jahren seine Aufgabe völlig erfüllte. Klare,
gemeinverständliche Sprache, gute systematische Ordnung, eine warme Empfindung für die
Bedürfnisse des praktischen Lebens zeichneten es aus. Es war ein wahrhaft nationales
Werk, das Rechtsbewußtsein Preußens ist daran erstarkt und dadurch ist Preußen erst zu
einem Rechtsstaat geworden. Natürlich hat auch das Preußische Allgemeine Landrecht seine
Schwächen, insbesondere ist der Vorwurf, daß es allzu kasuistisch sei, zum Theil begründet.
Rechtsprechung und Wissenschaft haben es aber sortentwickelt, von ersteren namentlich das
preußische Obertribunal und das Reichsgericht, von letzteren Männer wie Dernburg, Koch,
Förster, Eccius, Rehbein. Im Ganzen kann man aber wohl sagen, daß eine breite Be-
lehrung durch das Gesetz selbst immer besser ist, als unverständliche ^ Kürze. Als Mißstand
zeigte sich weiter allmählich die starre Form der Geschäfte. Hier war sicher ein Wandel
nothwendig. Aber für die damalige Zeit, als das Gesetzbuch erschien, war diese Formvor-
schrift gut. Verkehr und Handel gingen ja noch kleine Bahnen. Der Zweck war, den
wirthschaftlich Schwachen durch starre Formen zu schützen. — Wir Preußen werden immer
mit Stolz an unser Landrecht zurückdenken.
Herr Reichsgerichtsrath vr. Petersen sprach über das französische Recht. Man
könnte denken, führte er aus, daß der Abschied vom französischen (und badischen) Recht
schon aus nationalem Gesichtspunkte besonders leicht wäre. Es galt früher in Westphalen,
Berg, Nassau, Frankfurt, 2 Monate auch in Köthen, und es war zu befürchten, daß es
wie Napoleon ganz Deutschland erobern werde. Dann kam aber nach der Schlacht bei
Leipzig auch die Gegenströmung, die auf die Beseitigung des Code Napoleon aus Deutsch-
land ging. Gleichwohl ist eS auf dem linken Rheinufer bis heute in Kraft geblieben und
die ganze Bevölkerung war damit zufrieden/ denn das französische Recht hatte sich sofort
ihre Liebe gewonnen. Aber allemal tritt bei einer bestimmten politischen Entwickelung auch
das Bewußtsein auf, daß das alte Recht beseitigt werden muß. Diesem Umstande hat der
Code Napoldon selbst seine Entstehung zu verdanken. In Frankreich hatte vor der Revo-
lution jede Provinz ihre eigene Existenz und wollte auch von ihrem Sonderrecht nicht lassen.
Erst das einheitliche Recht hat zu der engen Zusammenschmelzung ganz Frankreichs bei-
getragen und ein. einheitliches Volksbewußtsein gebildet. So wird es auch beim neuen
deutschen Gesetzbuch werden. Die Verhältnisse lagen in Frankreich vor der Einführung des
Code civile in manchem ähnlich wie bei uns jetzt. Man konnte in Frankreich zwei große
Gruppen unterscheiden: die südliche mit dem vorwiegend römischen Recht, das dort, wie
man zu sagen pflegte, galt als ratio scripta, aber nicht ratione imperii, sondern imperio
rationis; die nördliche mit vorwiegend germanischem Gewohnheitsrecht. Seit dem 15. Jahr-
hundert waren diese „Coutuwes", 360 an der Zahl, schriftlich fixirt und man hielt fest an
ihnen. Keine Provinz wollte ihre besondere Coutumes aufgeben und Heinrich 111. schon
versuchte vergeblich einen einheitlichen Code zu schaffen. Das gelang erst der Revolution.
. Diese wollte ihre Grundsätze überall verwirklichen und erließ daher, zunächst verschiedene

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