Full text: Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht und Prozeß (Bd. 10 (1900))

660 Aron, Vertretung einer geisteskranken Person im Ehescheidungsverfahren.
Verständigung mit ihm nicht möglich ist. Diese Pflegschaft ändert an der Ge-
schäftsfähigkeit des Pfleglings nichts. Sie endigt, sofern sie zur Besorgung einer
einzelnen Angelegenheit angeordnet ist, mit der Erledigung dieser Angelegenheit,
sie muß vom Vormundschaftsgericht aufgehoben werden, wenn der Pflegebefohlene
die Aufhebung beantragt.
Aus diesen Vorschriften ergiebt sich, daß eine Pflegschaft für eine nicht ent-
mündigte geisteskranke Person nicht zulässig ist. Der Geisteskranke, entmündigt
oder nicht, ist stets völlig geschäftsunfähig und nicht in der Lage, die Gesa mm t-
heit seiner Angelegenheiten zu besorgen, er steht nicht einer Person gleich, die in
Folge einer geistigen Schwäche einzelne oder einen bestimmten Kreis ihrer
Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. Für den schwereren Fall des geistigen
Gebrechens ist eine Pflegschaft nicht eingeführt. Die Vorschriften des B.G.B.'s
über Pflegschaft würden hier gar nicht passen, denn neben dem Pfleger würde der
Pflegling die unbeschränkte Fähigkeit, selbst seine Angelegenheiten zu besorgen, be-
halten und der Pflegling könnte stets die Aufhebung beantragen, was bei einem
Geisteskranken nicht denkbar ist. Die Berufung auf die bisherige Praxis im
Gebiete des Preußischen Rechts kann nicht in Frage kommen, da das B.G.B.
eine der Preuß. Vormundschaftsordnung entsprechende Generalklausel über die
Anordnung einer Pflegschaft absichtlich nicht ausgenommen hat, wie oben dargelegt
ist (vergl. auch Entscheidungen des, Reichsgerichts Bd. 16 S. 234, Bd. 30
S. 186 flg., in denen die Pflegschaft auf Grund des § 90 der preuß. Vormund-
schaftsordnung für zulässig erklärt ift).1
Auch der § 53 C.P.O. kann nicht herangezogen werden. Derselbe stellt
eine prozeßfähige Person, wenn sie in einem Rechtsstreit durch einen Pfleger ver-
treten wird, für diesen Rechtsstreit einer nicht prozeßfähigen Person gleich. Der
Z 53 will, um Kollisionen zwischen den Prozeßerklärungen des Pflegers und des
sonst geschäftsfähigen Pfleglings zu vermeiden nur für diesen Rechtsstreit ihn für
prozeßunfähig erklären. Voraussetzung ist aber, daß eine wirksam angeordnete
Pflegschaft vorliegt. Ist die Pflegschaft zu Unrecht bestellt, so hat sie auch für
den Rechtsstreit keine Bedeutung, der § 53 setzt voraus, daß ein Grund zur Be-
stellung einer Pflegschaft vorlag und dieser Pfleger rechtmäßig die Pflegebefohlene
Person vertreten kann; ist dies nicht der Fall, so kann er auch nicht der Vertreter
sein. Ausschlaggebend ist allein der § 612 Abs. 2 C.P.O., welcher die Führung
des Ehescheidungsprozesses durch den gesetzlichen Vertreter für den geschäftsunfähigen
Ehegatten verlangt. Eine Vormundschaft bezw. eine vorläufige Vormundschaft ist
ohne Entmündigung nicht denkbar, eine Pflegschaft ist unzulässig, ein Pfleger kann
nicht der gesetzliche Vertreter einer geisteskranken, wenn auch nicht entmündigten
Person sein. Man kommt daher zu dem Resultat, daß ein nicht entmündigter
Geisteskranker zunächst entmündigt werden muß, wenn gegen ihn eine Ehe-
scheidungsklage wegen Geisteskrankheit nach § 1569 B.G.B. erhoben und durch-
geführt werden soll, damit er einen Vormund als seinen gesetzlichen Vertreter

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