Full text: Sächsisches Archiv für bürgerliches Recht und Prozeß (Bd. 13 (1903))

150 Müller, Das Erlöschen der Prozeßvollmacht.
nähme dieser Bestimmung unzweifelhaft festgestellt werden, daß auch die
Ladung zum persönlichen Erscheinen der Partei und zur Eidesleistung
nicht an die Partei selbst zu erfolgen habe, sondern nur an den Bevoll-
mächtigten, eben weil ihm ausschließlich die Vornahme der Prozeßhand-
lung zusteht, die in der Annahme der Zustellung liegt. Es kann keinem
Zweifel unterliegen, daß nach demselben Grundsatz auch die Entgegennahme
von Erklärungen jeder Art nur dem Bevollmächtigten allein zusteht. Noch
die Hannöversche Prozeßordnung enthielt im Abschnitt über die Prozeß-
vollmacht in 8 67 Abs. 2 die Bestimmung: „Der Anwalt hat alle zur
Regelmäßigkeit des Verfahrens erforderlichen Anträge und Handlungen
vorzunehmen, ihm sind auch die Mitteilungen der Gegenseite zu machen
und die gerichtlichen Verfügungen zuzustellen." Die hier noch besonders
hervorgehobenen Mitteilungen der Gegenseite sind in der Civilprozeßordnung
nur deshalb nicht erwähnt, weil sie selbstverständlich als zur Regelmäßig-
keit des Verfahrens erforderlich angesehen wurden. Es ist auch in Theorie
und Praxis unstreitig, daß die Vollmacht zur Empfangnahme derartiger
Mitteilungen ermächtigt. So wird z. B. bei dem neuerdings entbrannten
Streit darüber, ob in der Prozeßvollmacht auch die Befugnis zur Aus-
rechnung enthalten fei1 2, von allen, welche diese Frage bejahen, ausdrücklich
hinzugefügt, daß der Prozeßbevollmächtigte nicht nur zur Abgabe der Aus-
rechnungserklärung, sondern ebenso auch zur Entgegennahme dieser Er-
klärung befugt sei. Ferner ist als unstreitig zu betrachten, daß in allen
den Fällen, in denen die Civilprozeßordnung verlangt, daß eine bestimmte
Handlung „dem Gegner gegenüber" vorgenommen wird, diese Handlung,
sobald der Gegner durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten ist, diesem
Prozeßbevollmächtigten gegenüber zu erfolgen hat?
Diese der aktiven durchaus gleichgestellte passive Seite der dem Prozeß-
bevollmächtigten zustehenden Tätigkeit berücksichtigt das Reichsgericht gar
nicht, wenn es meint, die Befugnis zur Vornahme von Prozeßhandlungen
durch den Bevollmächtigten höre mit der Beendigung der Instanz aus.
Denn wenn der Bevollmächtigte, der nur vor der niederen Instanz zu-
gelassen ist, auch aktive Prozeßhandlungen vor der höheren Instanz nicht
vornehmen kann, so bleibt ihm doch die Befugnis zur Vornahme der Prozeß-
handlungen rein passiver Natur; es muß auch nach dem Ende der Instanz

1 Diese Frage ist unten, S. 156 ff., eingehend erörtert.
2 Beispiele für derartige Fälle bieten: § 73 Abs. 2.(Abschrift des die Streit-
verkündung enthaltenden Schriftsatzes ist „dem Gegner mitzuteilen"), 8 87 Abs. 1
(Widerruf und Kündigung der Vollmacht bewirkt deren Erlöschen „dem Gegner
gegenüber" erst durch die „Anzeige an diesen"), 8 18t Abs. 1 („der Gegner" ist von
der Niederlegung einer Urkunde zu „benachrichtigen"), ebenso 8 364 Abs. 4 (Be-
nachrichtigung von einer Beweisaufnahme im Auslände).

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