Full text: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft (Bd. 15 (1855))

382

Köstlin:
schwerere Verbrechen eine Schranke, da die Sitte der höheren
Stände von selbst dazu führen mußte, die rohe Privatgewalt zu-
nächst außergerichtlich auf konventionelle, dem gerichtlichen Zwei-
kampf abgeborgte Regeln zu bringen und eben damit dem Duell
eine neue Form zu geben. Die Sitte war aber stark genug, um
sogar für längere Zeit ihrem bloß konventionellen Produkte den
Vortheil gesetzlicher Anerkennung zu verschaffen. Man erinnere
sich nur an jene eigenthümlichen Kampfrechte, die sich bis zum
Anfang des 17ten Jahrhunderts erhielten, bestimmt, um Ehren-
sachen aller Art zwischen Rittern unter gerichtlicher Leitung in
feierlichster Form abzumachen (so besonders in Nürnberg und in
Schwäb. Hall).
In dieser gesellschaftlichen Sphäre nun verschwindet nicht nur
der Begriff der Strafe, sondern auch jeder konkrete Begriff des
die Reaktion fordernden Delikts selbst. Die Ehre ist hier nicht
mehr ein allgemein menschlicher oder politischer Begriff, wie ihn
die o. a. Stellen aus den Nechtsbüchern, Städterechten rc. be-
grenzen. Sie ist eine konventionelle Vorstellung, bei welcher ledig-
lich die Verletzlichkeit des persönlichen Ehrgefühls über das Dasein
des Delikts entscheidet. Denn eben weil die Ehre hier nicht mehr
in dem allgemeinen Begriff der Persönlichkeit, der Menschlichkeit
und des Bürgerthums wurzelte, sondern als der Ausdruck eines
Vorrechts, einer privilegirten Persönlichkeit galt, so fand die inten-
sivste Steigerung des Selbstgefühls kaum ein Temperament mehr
in der maßgebenden Meinung von Standesgenossen, da diese selbst
auf dem Kanon aristokratischer Ueberschwenglichkeit und arroganter
Süffisance beruhte. Jene Kampfrechte, in welchen die Rechtssitte
des Adels ihren formellen Ausdruck fand, hatten daher den aller-
unbestimmtesten und vagsten Begriff der Beleidigung überhaupt zur
Voraussetzung. Die leitenden Gerichte untersuchten die Art und
Größe der Beleidigung in der Regel gar nicht näher, ja sie er-
fuhren sie wohl kaum. Das Resultat war stets nur die öffentliche
Anerkennung der Ehrenhaftigkeit des Siegers, — ganz wie in der
mehreren Handschriften des upländischen Gesetzes angehängten Nach-
richt über die Rechtssitte in heidnischer Zeit. Wenn Subjektivität
und Beziehung auf die Gesellschaft die charakteristischen Elemente
des germanischen Ehrbegriffs sind, so war jene Auffassung der pri-
vilegirten Stände (die sich bis auf unsere Tage vererbt hat) ohne

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer