Full text: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte / Kanonistische Abteilung (4 (1914))

Literatur.

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hin identifiziert worden. Der Aachener Erzpriester war offenbar sog.
Großpfarrer (Archipresbyter) und als solcher ist er nicht unmittelbar
(wie 8. 5 und 16 steht), sondern erst mittelbar nach dem Archidiakon
(so richtiger 8. 7) wenn auch frühzeitig in den Besitz seiner Sendherr-
lichkeit gekommen; so erklären sich auch die mancherlei Rechte, die
sich noch der zuständige Archidiakon von Hasbanien zu wahren wußte.
Hingegen spielt der Landdekan von Mastricht eine ganz nebensächliche
Rolle, und sein Anteil am Aachener Send ist erst sekundärer Rechts-
bildung entsprungen. Der Überlieferung, daß Karl d. Gr. der Begründer
des Aachener Sends sei (8. 9), hätte an der Hand der Spezialliteratur
über die um den Kaiser gesponnenen Legenden hinsichtlich seiner
Bemühungen um geregelte Rechtsverhältnisse nachgegangen werden
können. Wenn die Nachbarsdörfer Laurensberg, Würselen und Haaren,
trotzdem die beiden letzteren zum Erzbistum Köln, Laurensberg aber
wie Aachen zum Bistum Lüttich gehörten, doch alle gen Aachen als
ihren Oberhof zu Haupte gingen, so geht dieses Rechtsverhältnis
wohl nur darauf zurück, daß die Kaiserstadt für sie ehedem Mutter-
pfarrei war, mochte die Abspaltung auch schon im 9. Jahrhundert ge-
schehen sein. Man vergleiche hierzu etwa nur die Parallelbelege in des
Referenten „Sendquellen" (s. dort Index unter „Oberhof"). Die Tat-
sache, daß in späterer Zeit von den Aachener Sendschöffen einer ein Arzt
sein mußte (8. 24), hätte den Verfasser vor die Frage stellen sollen:
warum das? Aufschluß hätten z. B. die ebenzitierten „Sendquellen"
gegeben: nach der Sendordnung von Litzendorf waren die „abscheu-
lichen Krankheiten", nach dem Sendweistum des Eßweiler Tals Aus-
sätzige vor dem Sendgericht anzuzeigen, und dieses verhängte gegebenen-
falls den Ausschluß aus der menschlichen Gesellschaft über die Kranken.
Zu deren Untersuchung bedurfte also der Send eines Arztes. Was solche
anscheinend rein sanitären Maßregeln mit der Sendkompetenz zu tun
hatten, ist wieder eine Frage für sich. Bei Behandlung der Send-
kompetenz hat Verfasser den richtigen Standpunkt dadurch nicht
gewonnen, indem er sofort in delicta mere ecclesiastica und delicta
mixta scheidet. Letzteres ist ein durch die spätere Rechtsdoktrin an
die vom Send beanspruchten Straffälle herangebrachter Begriff. Es
war nicht unmittelbar „in der Ohnmacht der weltlichen Gerichte be-
gründet“ (S. 39), daß diese delicta mixta vor dem Send ihre Abwandlung
fanden, sondern in der ursprünglich unwidersprochenen Ausdehnung
des Begriffs „geistliches Vergehen": alles was irgendwie als Mißachtung
und Übertretung der Gebote Gottes und der Vorschriften der Kirche
oder als Verstoß gegen ihr Recht und Eigentum gelten konnte, fiel
unter die Sendkompetenz, daher z. B. Schlägereien auf Kirchen- und
Leichenwegen, weil diese zur Kirche in Beziehung standen, beispiels-
weise ein Fall, der dann wieder die Ausdehnung der Sendkompetenz
auf alle Wege und Stege zur Folge hatte. Aber ein delictum mixtum
war, um das Beispiel weiter zu gebrauchen, eine Kirchenweguntat von
vornherein und vom Standpunkt des Sends besehen nicht; das wurde
sie erst, als die erstarkenden Gewalten auch ihrerseits ihre Kompetenzen

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