396
Miszellen.
ihre Ungeschicklichkeit etwas von dem Weine auf ihre Leibjacke, auf
Mantel und Stuhllehne. Luther, der dies sieht, springt auf und läuft
mit dem Doktor Pomeranus zum Altar „und“, so heißt es in der Er-
zählung, „haben samt dem Diakon solche verschüttet Blut Christi mit
aller Reverenz von des Weibes Mantel usw. so reine als sie konnten,
helfen ab- und auflecken“. Nach der Kommunion ließ Luther das Rauch-
futter der Leibjacke ausschneiden und verbrennen, weil es nicht möglich
gewesen, das Blut vollständig abzulecken. Die Lehne des Kirchen-
stuhles ließ er abhobeln und die abgehobelten Späne verbrennen.1)
Mit Drews möchte ich unbedingt annehmen, daß hier katholische
Sakramentsansehauungen noch mit im Spiele waren. Der geweihte
Wein war nach Luther eine res sacra geworden. Der Wein hatte eine
virtus habitualis empfangen. Und mir scheint, Luther ging so weit,
die Profanierung einer res sacra als ein kirchliches Vergehen, als ein
Sakrilegium zu betrachten. Darauf deuten zwei Vorgänge. Einmal
wird in der gleichen Erzählung berichtet, dem Doktor Martine sei das
Verschütten des Weines so sehr zu Herzen gegangen, daß er darüber
geseufzt und gesprochen habe: „ach, hilf Gott.“ Es seien ihm auch
seine Augen voll Wasser gestanden. Der Reformator weinte offenbar
nicht bloß über die Tatsache der Entheiligung des Weines, sondern
darüber, daß sich die Frau durch ihre Ungeschicklichkeit schuldig
gemacht hatte. Ihr möge Gott helfen! Gott möge ihr verzeihen, ist
der Gedanke. Der andere Vorgang, welcher diese Auffassung bestärkt,
ist uns überliefert in dem „Merseburger Synodalunterricht mit den Ab-
änderungen der allgemeinen sächsischen Superintendenteninstruktion
von 1545".2) Dort heißt es: „Dan so sie die (die langen Schnautzbärte) jn
den kelch des bluts christj hengen, machen sie (die Pfarrer) den andern
ein grauen und vielen ergernis. Welche sie auch selten den leyen
nicht gestatten, dan ich selbs von Dr. Martine mit meinen ehren habe
gehört, das Doktor Martinas solche grobe leuthe öffentlich und hefftig-
lich gestraffet." Das Eintauchen der Schnautzbärte in den geweihten
Wein erregte also nicht nur Ekel (ein grauen) sondern auch Ärgernis.3)
Letzteres eben deshalb, weil es als eine Art Entweihung galt und weil
leicht am Barte Tropfen hängenblieben, die dann zur Erde fielen.
Der Reformator begnügte sich in solchen Fällen nicht mit bloßen
Mahnungen, sondern ging mit Strafen, wahrscheinlich strafenden Ver-
weisen vor. Profanierung des Weines war ihm Sakrilegium.
1) In den Bußbestimmungen des Mittelalters kehrt häufig die Norm
wieder: Ist ein Tropfen des heiligen Weines auf die Erde gefallen, so muß
die betreffende Stelle abgehobelt werden, und die Späne sollen verbrannt,
die Asche aber im Altar vergraben werden. Drews a. a. 0. 189.
2) Abgedruckt beiSehling, Die Kirchengesetzgebung unter Moritz v.
Sachsen 1544—1549 und Georg v. Anhalt, Anlage D, Seite 217. Dazu
Drews a. a. O.
8) Nach der Merseburger Ordnung durften zurückbleibende Reste des
Abendmahls nicht „bey gesetzt" oder weggegossen werden. Vielmehr
müssen sie vom „Priester" oder Kommunikanten „vollen! absumirt werden"*
Schling a. a. O. 206.